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Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V.


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Mittwoch, 24.11.1999

Moral aus der Sicht der Weltreligion Islam



Dr. Nadeem Elyas
Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland

8. Werner-Reihlen-Vorlesung
Hochschultage zum Thema „Moral und Weltreligionen“
Humboldt-Universität zu Berlin

24.-25. November 1999

I. Einleitung

„Moral bremst Korruption besser als Strafe“ lautete vor einiger Zeit die Schlagzeile eines Zeitungsberichtes über den deutschen Juristentag. Dieses Ergebnis war verbunden mit der Mahnung der Juristen in aller Deutlichkeit, Politiker und Prominente sollen ihrer Vorbildsfunktion gerecht werden.

Moral, Vorbildsfunktion, tugendhaftes Verhalten, ungewöhnliche Termini bei den so weltlich denkenden Wissenschaftlern. Die Diskussion über die Ethik als ‘Lehre von sittlichem Wollen und Handeln des Menschen in verschiedenen Lebenssituationen‘ , oder kurz gesagt als ‘Theorie der menschlichen Lebensführung‘ kann nicht getrennt werden von der Diskussion über die Religionen.

Auch wenn die Religionsgemeinschaften keine Möglichkeit der direkten Einflussnahme haben und keine politischen Wirkungsmechanismen besitzen, verfügen sie dennoch über ein großes Kapital der Vertrauenswürdigkeit und Akzeptanz bei der Bevölkerung. Durch Aktivierung des Guten, das bei jedem zu finden ist, und Motivierung des Einzelnen, sich für Recht und Gerechtigkeit und gegen Rassismus und Gewalt einzusetzen, können Religionen wieder eine Entscheidende Rolle in der Gesellschaft spielen. Mit dem großen Schatz der Weisheit und des Wissens können besonders die Offenbarungsreligionen ihre Anhänger zu Anwälten für Menschlichkeit und Gegnern jeder Art von Rassismus machen.

Die diesjährige Vorlesungsreihe der Humboldt-Universität, die dieses Thema behandelt, bringt die Moral in direktem Zusammenhang mit den Weltreligionen und versucht Vergleiche zwischen ihnen in Bezug auf die Thematik zu ziehen.

Hier wollen wir die Moraltheorie des Islam behandeln, und nicht die Moral der Muslime oder die Moral in der islamischen Welt. Die heute noch geltende Moral des Islam entspringt nämlich seinen Quellen, dem Koran und der Sunna, und ist ein immanenter Bestandteil seiner ursprünglichen Botschaft, ein untrennbarer Teil seines Selbstverständnisses. So brauchen wir nicht von der „Moral der Muslime“ zu sprechen, wenn wir die Moral meinen, die sich aus verschiedenen Quellen heutzutage als solche in der islamischen Welt etabliert hat. Wir können ruhig von der „Moral im Islam“ oder von der „Moraltheorie des Islam“ sprechen.

II.

Islam und Moral

Stellenwert der Moral im Islam

Der Islam gibt der Moral einen sehr hohen Stellenwert in seinen Quellen und in seiner Glaubenslehre. Der Prophet Mohammed, Friede sei mit ihm, sagt: ‘Ich wurde bloß entsandt, um den edlen Charakter zu vervollkommnen.‘ Sein Charakter ist eine seiner höchsten Auszeichnungen, die Anlass zu seinem Lob im Koran geben: „Und du hast wahrlich einen edlen Charakter.“(68/4) Charakter und Glaube sind im Islam nicht voneinander zu trennen, sind ohne einander nicht existent.

In verschiedenen koranischen Texten sehen wir diesen engen Zusammenhang zwischen menschlichem Verhalten und Glaube. „Hast du den gesehen, der das Gericht für Lüge erklärt? (das heißt, der an das Jenseits nicht glaubt) Das ist der, der die Waise zurückstößt, und nicht zur Speisung der Bedürftigen anhält.“(107/1-3) Der Ungläubige wird durch sein Verhalten zu seinem Nächsten erkannt. In einem weiteren Text ist die Rede von demjenigen, der am Jüngsten Tag in die Hölle gelangt: „Er glaubte nämlich nicht an Gott, den majestätischen, und er hielt nicht zur Speisung des Bedürftigen an.“(69/34) In einem weiteren Text ist die Rede von der Mäßigung als Gebot im Verhalten. „Der Mensch ist als kleinmütig erschaffen. Ausgenommen sind die, die beten und in ihrem Gebet beharrlich sind. Und die ein bestimmtes Recht auf ihr Vermögen einräumen, den Bettlern und den Unbemittelten. Und die den Tag des Gerichts für wahr halten. Und die ihre Scham bewahren, außer gegenüber ihren Gattinnen. Diejenigen aber, die darüber hinaus andere begehren, das sind die, die Übertretungen begehen. Und die, die auf das ihnen Anvertraute und ihre Verpflichtung achtgeben.“(70/19 ff) So wird der Zusammenhang zwischen Glaube und Ethik, Glaube und Verhalten im Diesseits hergestellt.

Der Koran definiert eindeutig die Frömmigkeit, sprich das Gute, das Moralische, das Ethische, in einem Vers: „Nicht darin besteht die Güte, dass ihr eure Gesichter gegen Osten oder Westen wendet, Güte ist vielmehr, dass man an Gott, den Jüngsten Tag, die Engel, die Bücher und die Propheten glaubt und vom Besitz, obwohl man ihn liebt, der Verwandtschaft, den Waisen, den Armen, dem Sohn des Weges, den Bettlern und für den Loskauf von Sklaven hergibt, das Gebet verrichtet und die Abgabe entrichtet. Und diejenigen, die ihre Verpflichtung einhalten, wenn sie eine eingegangen sind und diejenigen, die standhaft bleiben in Not, Leid, in Kriegszeiten, das sind diejenigen, die wahrhaftig sind und das sind die Gottesfürchtigen.“(2/177) Nicht darin besteht die Güte, dass man betet und fastet, kann es anders lauten, sondern die Güte besteht in diesem zwischenmenschlichen Verhalten, in dieser Fürsorge für einander.

Der Prophet fragte eines Tages seine Gemeinde: ‘Wer ist unter euch der Unbemittelte, der Bedürftige?‘ Sie sagten: ‘Das ist derjenige, der kein Geld hat.‘ Er sagte: ‘Nein, der Bedürftige, der Unbemittelte, ist derjenige, der am Jüngsten Tag mit so vielen guten Taten an Gebeten, Fasten und Pilgerfahrten kommt. Er kommt während er diesen beschimpft hat, diesen verleumdet hat, das Geld des anderen genommen hat, und den anderen getötet hat. So wird von seinen guten Taten diesem und jenem gegeben, bis er keine guten Taten mehr hat und dann wird von ihren schlechten Taten auf ihn geladen, und so kommt er ins Feuer.‘ Auch in diesem Spruch des Propheten wird gezeigt, dass das moralische Verhalten der Muslime ein Indiz ist für ihre Gottesfürtichkeit und Frömmigkeit.

Der Prophet definiert, was ein Muslim ist, mit den Worten: ‘Der Muslim ist derjenige, vor dessen Hand und Zunge, die Menschen in Sicherheit sind.‘ Er definiert den Gläubigen: ‘Der Gläubige ist derjenige, vor dem die Menschen in Sicherheit sind.‘

Moral im Islam ist eingebettet im Kontext des Theologischen und Gottesdienstlichen und ist Teil der gesamten islamischen Lehre. Sie ist kein selbständiger Teil für sich, der im Widerspruch zur Lehre stehen kann.

Als genuiner Teil der Offenbarung steht die Moral im Islam auf der anderen Seite nicht im Widerspruch zur Vernunft. Sie ist - getrennt von der Vernunft - nicht zu verstehen. Sie ist nicht der Vernunft entsprungen; sie ist Gottes Offenbarung und Gottes Weisung.

Das Menschenbild im Islam

Der Islam hat seine konkrete Vorstellung vom Menschenbild und hat durch seine Quellen versucht, diesen Moralcodex ins Leben zu rufen, einen Menschen zu schaffen, der sich nach diesen Vorschriften verhält. Wenn wir einen entsprechenden Text im Koran suchen, der sich mit dem Menschenbild im Islam befasst, so finden wir in der Sure 25, Vers 63 ff: „Die Diener des Allerbarmers sind diejenigen, die maßvoll auf der Erde umhergehen und wenn die Toren sie ansprechen, sagen: ‘Frieden‘. Und diejenigen, die die Nacht verbringen, in dem sie sich im Gebet vor ihrem Herrn niederwerfen und aufrecht stehen. Und diejenigen, die sagen: ‘Unser Herr, wende von uns die Strafe der Hölle ab, ihre Strafe ist ja bedrängend, gewiss, sie ist böse als Aufenthaltsort und Bleibe.‘ Und diejenigen, die, wenn sie ausgeben weder maßlos noch knauserig sind, sondern den Mittelweg dazwischen einhalten. Und diejenigen, die neben Gott keinen anderen Gott anrufen und nicht die Seele töten, die Allah verboten hat zu töten, außer aus einem rechtmäßigen Grund. Und die keine Unzucht begehen, wer das tut, hat die Folge der Sünde zu erleiden, die Strafe wird ihm am Tag der Auferstehung vervielfacht und ewig wird er darin in Schmach bleiben, außer demjenigen, der bereut, glaubt und rechtschaffene Werke tut, jenen wird Allah ihre Bösen Taten gegen gute eintauschen. Und Gott ist stets allvergebend und barmherzig. Und wer bereut und rechtschaffen handelt, der wendet sich in wahrhaftiger Reue Gott zu. Und auch diejenigen, die keine Falschaussage bezeugen, und wenn sie im Vorbeigehen unbedachte Rede hören, würdevoll weitergehen. Und diejenigen, die wenn sie mit den Zeichen ihres Herrn ermahnt werden, ihnen gegenüber nicht taub und blind niederfallen. Und diejenigen, die sagen: ‘Unser Herr, schenke uns aus unseren Gattinnen und unseren Nachkommenschaften Grund zur Freude und mache uns für die Rechtschaffenen zu einem Vorbild.‘“(25/ 63 ff)

In diesem Text begegnen uns wichtige Aspekte der Moral, Grundsätze, die die moralische Gestaltung des Menschen formen. Hier ist die Rede vom Frieden, hier ist die Rede vom maßvollen Ausgeben und von Mäßigung, vom Mittelweg im Leben. Hier ist aber auch die Rede vom Nichttöten, vom Verbot der Unzucht und der Falschaussage. Hier ist gleichzeitig die Rede vom Glauben und Gottesdienst. Im selben Kontext ist auch die Rede von der Auslegungsmöglichkeit der islamischen Quellen, der Hinweis auf diejenigen, die nicht blind und taub niederfallen, wenn ihnen die Verse aus der Offenbarung ihres Herrn vorgelesen werden, sondern selbstkritisch fragen, was diese Verse wohl bedeuten können und welche Vorschriften daraus abzuleiten sind. Hier ist die Rede von der Schönheit des Lebens, vom familiären Zusammensein und dem Wunsch, dass man in seiner eigenen Familie mit dem eigenen Partner Grund zur Freude haben möge.

Staat und Moral

Will der Islam allein durch dieses Menschenbild Einfluss gewinnen im Gesellschaftlichen und Staatlichen? Hat die Moral und Ethik des Islam ihre Grenze in der Gestaltung des Einzelnen erreicht oder versucht sie auch im politischen Sinne durch Moral und Ethik einiges direkt zu erreichen?

Der Koran befasst sich im folgenden Text mit grundsätzlichen Aspekten eines Gemeinwesens: „Was immer euch gegeben worden ist, ist Nutznießung des diesseitigen Lebens. Was aber bei Gott ist, ist besser und beständiger für diejenigen, die glauben und sich auf ihren Herrn verlassen. Und diejenigen, die schwerwiegende Sünde und Abscheulichkeiten meiden und wenn sie zornig sind, lieber vergeben. Und diejenigen, die auf ihren Herrn hören und das Gebet verrichten, ihre Angelegenheiten durch Beratung untereinander regeln und von dem, womit Wir sie versorgt haben, ausgeben. Und diejenigen, die, wenn Gewalttätigkeit gegen sie verübt wird, sich selbst helfen. Die Vergeltung für eine böse Tat ist etwas gleich Böses. Wer aber verzeiht und Besserung bringt, dessen Lohn obliegt Gott, Er liebt ja nicht die Ungerechten. Und wer immer sich selbst hilft, nachdem ihm Unrecht zugefügt wurde, gegen jene gibt es keine Möglichkeit, sie zu belangen. Eine Möglichkeit zu belangen gibt es nur gegen diejenigen, die den Menschen Unrecht zufügen und auf der Erde ohne Recht Gewalttätigkeiten begehen, für sie wird es schmerzhafte Strafe geben.“(42/36 ff) Dieser Text behandelt die gegenseitige Beratung, eins der vier Prinzipien im islamischen Staat. Die Verpflichtung zu diesem Prinzip wird nicht nur vernünftig begründet, sondern im Gesamtkontext der Moral und Ethik im Islam genannt: Diejenigen erlangen diesen hohen Wert bei Gott, die ihre Angelegenheit unter einander durch Beratung regeln.

Die ethischen Prinzipien des Islam für den Einzelnen finden eine fachliche Formulierung und Verpflichtung in Bezug auf das Staatswesen: Prinzip der Führung, Prinzip der Rechtstaatlichkeit, Prinzip der Gerechtigkeit, Prinzip der gegenseitigen Beratung. Den verbindlichen Charakter aller ethischen Vorschriften für das politische Gemeinwesen erkennt man deutlich, wenn man die einzelnen Bereiche der o.g. Prinzipien ausführlich behandelt. Dies würde jedoch den Rahmen unseres vorgegebenen Titels sprengen.



III. Offenbarung und Vernunft

Quellen der Moral

Welche Quellen hat die Moral im Islam? Den Streit zwischen Offenbarung und Vernunft kennt der Islam im Allgemeinen nicht. Es gibt auf islamischer Seite selbstverständlich auch einzelne Stimmen, die nur auf das eine oder nur auf das andere setzten. Die gängige Meinung der Gelehrten im Islam betrachtet die Quelle der Moral im Islam in beiden gegeben - Offenbarung und Vernunft. Die Offenbarung ist die Weisung Gottes. Natürlich wäre der Mensch, wie er ursprünglich geschaffen wurde, ohne negative äußerliche Einflüsse, imstande, durch seine Vernunft das Gute und das Böse zu erkennen und vernünftig das eine zu tun und das andere zu vermeiden. Aber es blieb nicht bei diesem wohlgeschaffenen Zustand des Menschen. Negative Veränderungen dieses ursprünglichen optimalen Zustandes der Menschheit durch innere Triebe und gesellschaftliche Einflüsse erforderten, dass Korrekturen durch die Offenbarung nicht nur die Existenz Gottes, sondern auch die Prinzipien der Moral den Menschen immer wieder ins Gedächtnis rufen. Diese Festlegung und Ermahnung der Offenbarung ist für uns Muslime die Quelle, wenn wir von der Moral aus islamischer Sicht sprechen. Sie ist für uns genauso verpflichtend, wie die anderen Vorschriften im Koran oder in der Sunna. Die Bereiche der Moral im Koran sind für uns rechtleitend, sie sind für uns verpflichtend, sie sind von Muslimen einzuhalten. „Gekommen ist zu euch von Gott ein Licht und ein offenkundiges Buch, mit dem Gott diejenigen, die seinem Wohlgefallen nachgehen, die Wege des Friedens leitet und sie aus den Finsternissen ins Licht herausbringt.“(5/15 f) Durch die Offenbarung wird der Mensch auch im ethischen Bereich des Lebens aus den Finsternissen ins Licht gebracht und rechtgeleitet.

Glaube oder Vernunft?

Der aus eigener Entscheidung und Überzeugung frei gewählte Weg des Glaubens verpflichtet uns Muslime nicht nur zum Gottesdienst, sondern auch zur Beachtung der von Gott gesetzten moralischen Grenzen. Zu diesen Grenzen gehört das Verbotene und das Erlaubte, zwei Beispiele, anhand derer wir die Relation zwischen Glaube und Vernunft darlegen können. Hält sich ein praktizierender Muslim an diese Vorschriften aus „blinder“ Frömmigkeit oder aus „reiner“ Vernunft? Auf der einen Seite aus dem festen Glauben an diese Religion, die man als eine mit der menschlichen Vernunft harmonisierende Religion erkannt hat, die also unmöglich etwas vorschreibt, was dem Nutzen der Menschheit widerspricht. Auf der anderen Seite hält man sich als Muslim an diese Vorschriften, weil man nach eingehender Betrachtung Logik und Nutzen darin erkennt. Im Idealfall kann man sagen: Die Vernunft des Einzelnen führt ihn zum Islam, der seine Vernunft in den von Gott festgelegten Grenzen schützt und ihn anhält, den eigenen Verstand und die eigene Vernunft weiter einzusetzen, um nach der Logik

- selbst in den offenbarten Vorschriften - zu forschen.

Vernunft und Verstand werden herausgefordert, nach den Gründen der Verbote zu forschen, wobei diese bei den meisten Verboten auf der Hand liegen: „Sag: Kommt her, ich will euch verlesen, was euer Herr euch verboten hat. Ihr sollt Ihm nichts beigesellen und zu den Eltern gütig sein. Und tötet nicht eure Kinder aus Furcht vor Verarmung, Wir versorgen euch und auch sie. Und nähert euch nicht den Abscheulichkeiten, was von ihnen offen und was verborgen ist. Und tötet nicht die Seele, die Gott verboten hat zu töten, außer aus einem rechtmäßigen Grund. Dies hat Er euch anbefohlen, auf dass ihr begreifen mögt. Und nähert euch nicht dem Besitz des Waisenkindes, außer auf die beste Art bis es seine Vollreife erlangt hat. Und gebt volles Maß und Gewicht in Gerechtigkeit. Wir erlegen keiner Seele mehr auf, als sie zu leisten vermag. Und wenn ihr euer Wort gebt, dann seid gerecht, auch wenn es um einen Verwandten geht. Und haltet euren Bund gegenüber Allah, dies hat Er euch anbefohlen, auf dass ihr es bedenken mögt.“(6/151 f) Schädlichkeit und „verborgene und offenkundige Abscheulichkeit“ sind also der Grund eines jeden Verbots. Es gilt, nach dem verborgenen Grund dieser Abscheulichkeit zu suchen, denn ohne Grund will Gott der Menschheit keine unnötige Last auferlegen.

Alles, was moralisch ist, ist erlaubt

Ein wichtiger Grundsatz der islamischen Lehre lautet: „Alles, was nicht ausdrücklich verboten wurde, gilt als erlaubt.“ Ein weiterer Grundsatz bestimmt, dass das von Gott Erlaubte von niemandem wieder verboten werden darf: „Sag: Wer hat den Schmuck Allahs verboten, den Er für seine Diener hervorgebracht hat und auch die guten Dinge aus der Versorgung Gottes. Sag: Sie sind im diesseitigen Leben für diejenigen bestimmt, die glauben und am Tag der Auferstehung ihnen vorbehalten. So legen Wir die Zeichen ausführlich dar für Leute, die Bescheid wissen.“

(7/33 f)

Diese Offenlegung der Zeichen ist die Hilfe, die der Islam der Vernunft zur Verfügung stellt. Die Vernunft hat dann ihre Aufgabe darin, diese Aussagen aus den islamischen Quellen zu interpretieren. Um dies zu erreichen hat Gott den Mensch mit dem grundsätzlichen Wissenstand ausgestattet, der dazu nötig ist: „Und (bei) einer jeden Seele und Dem, Der sie zurechtformt. Und ihr dann ihre Sittenlosigkeit und ihre Gottesfurcht eingibt!“(91/7 f) Gott schwört mit der Seele und mit dem, der sie erschaffen hat (nämlich mit sich selbst) und ihr die Weisung zum Guten wie die Sicht des Bösen eingegeben hat. In der Seele eines jeden Menschen gibt es beide Tendenzen sowohl zum Guten, als auch zum Bösen. Jeder Mensch hat die Möglichkeit beides zu erkennen. Der Muslim hat die Aufgabe, die Grundsätze der Moral aus den islamischen Quellen zu entdecken, und sie zu erweitern und zeitgemäß anzuwenden.

Reicht die Vernunft allein, um das Ethische zu erkennen oder zu tun? Wie gesagt: wären nicht die Einflüsse aus der Umwelt gewesen, wären nicht die Neigungen der Seele und des menschlichen Daseins, wäre die Vernunft imstande, das Ethische selbständig zu erkennen. Der Islam nimmt Stellung zu den negativen Einflüssen und Neigungen: „Würde die Wahrheit ihren Neigungen folgen, verderben würden die Himmel und die Erde und wer in ihnen ist – Nein, Wir kamen zu ihnen mit ihrer Ermahnung.“(23/71) Diese Neigungen können derart ausufern, dass ihre Auswirkungen nicht mehr im Sinne der Gesamtheit der Menschheit ausschlägt, und nur den Nutzen einer bestimmten Gruppe, einer bestimmten Rasse bzw. einer bestimmten Generation in Betracht ziehen. Hier dient die Religion und ihre Quellen als Regulativ und Korrektiv. Sollte die heute so verstandene, die heute so gelebte und angewandte Moral im Widerspruch zu den gesagten Grundsätzen stehen, so müssen die Grundsätze, die in der Offenbarung der Religionen uns zuteil geworden sind, diese ethische Schieflage regulativ bearbeiten und korrektiv verbessern. Eine Korrektur in umgekehrter Richtung wäre eine Verfälschung des menschlichen ursprünglichen Zustandes, eine Ablehnung der göttlichen Weisung, eine Vorgehensweise, die so von den Muslimen nicht akzeptiert wird.

IV. Ziele der Moral im Islam

Die Moral hat im Islam die Aufgabe, das Erreichen der fünft Prioritäten des Islam zu ermöglichen. Dies gilt nicht nur als Ziel der Morallehre, sondern als Ziel aller Vorschriften im Islam, der gesamten islamischen Scharia.

Die fünf Prioritäten sind:

Schutz des Lebens, Schutz des Glaubens, Schutz des Verstandes, Schutz der Ehre und Schutz des Vermögens.

Mit dem Schutz dieser fünf Bereiche befassen sich sämtliche Vorschriften im Islam. Auch durch Festlegung der Grundsätze der Moral soll der Schutz dieser fünf Bereiche erreicht werden.

Zum Schutz des Lebens gehören viele Vorschriften im Islam: Verbot des Tötens, Verbot von Terrorismus, Verfolgung und Gewalttätigkeit. Zum Schutz des Verstandes gehört das Alkoholverbot und Verbot aller berauschenden Mittel. Zum Schutz der Ehre gehören das Unzuchtverbot und sämtliche Vorschriften, die sich mit dem Familienrecht befassen.

Dabei beschränkt sich der Islam nicht nur auf das jeweilige Hauptziel, z.B. Verbot der Unzucht, er untersagt alles, was dazu führen könnte. Pornografie ist ein heutiges Beispiel dafür, wie die Moral des Menschen durch äußere und zeitliche Einflüsse verändert werden kann. Inwieweit ist Pornografie heute vertretbar und darf so erlaubt werden? Setzt hier die Religion nicht doch eine vernünftige Grenze dafür, um diese fünf Prioritäten zu schützen, insbesondere um die Ehre zu schützen? Wenn dieser Schutz entfällt, dann ist das Recht vieler Mitglieder der Gesellschaft, ja der Gesamtheit zu Gunsten der Freiheit einiger weniger verletzt .

So setzt die Moral gewisse Grenzen in allen Bereichen des Lebens, um dieses menschenwürdig zu gestalten.

V.

Ethische Grenzen der Freiheit

Die oben vorgestellte Vorgehensweise führt unweigerlich zu der Diskussion: Inwieweit dürfen die Freiheiten durch höhere Instanzen, hier die Religion, beschnitten oder eingeschränkt werden? Jede Freiheit muss gewisse Grenzen haben, sonst würde ihre grenzenlose Inanspruchnahme ins Gegenteil führen, nämlich Beraubung der Freiheit und Entrechtung der anderen. Freiheit darf nicht in Zügellosigkeit entarten.

Gleiches gilt für Blasphemie. Wie ist es mit dem Umgang mit den höchsten Werten, mit den religiösen Werten der anderen? Wie ist es mit dem Umgang mit Gott in Literatur, Kunst oder in der Presse? Darf man sich aus irgendwelchen Erwägungen lustig machen über Glaubensinhalte anderer Menschen, wie Gott, Propheten, heilige Schriften oder religiöse Symbole? Hier setzt der Islam eine klare Grenze, nicht um bloße Gefühle, sondern um die Würde der anderen zu schützen, denn zu der Würde des anderen gehört an erster Stelle sein Glaube an Gott. Nicht nur die Würde der Geschöpfe sollte unantastbar sein, vor allem sollte Gott für alle Menschen unantastbar sein. Blasphemie, Beschimpfung Gottes, der Religion oder deren Werte überschreitet die Grenze der Individualfreiheit und gilt im Islam als nicht moralisch und nicht ethisch.



VI. Ethische Grenzen der Wissenschaft

Grundhaltung des Islam zur Wissenschaft

Das Wissen hat einen hohen Stellenwert als Bewertungsmaßstab, weil es nach islamischer Sicht das Ziel haben soll, die Schöpfung zu erkennen, um dadurch zu ihrem Schöpfer zu gelangen, ihn anzuerkennen, und ihm zu dienen. Im Gegensatz zu der Tierwelt und den übrigen Geschöpfen Gottes, die er seinen Gesetzmäßigkeiten unterworfen hat, und die ihm ohne eigenen freien Willen dienen, soll der Mensch Gott aus eigener Kraft erkennen und nach eigenem, freien Willen dienen. Das Mittel dazu ist das Wissen, das jeder Mensch durch seinen von Gott gegebenen Verstand erreichen soll. Im Diesseits bleibt ihm freigestellt, seinem Schöpfer zu dienen, oder ihn zu verleugnen.

Durch das Wissen soll der Mensch im Rahmen der von Gott gesetzten Grenzen sein diesseitiges Leben besser genießen, mehr Wohlstand im gebotenen Rahmen erreichen und bessere Lebensbedingungen für sich und die anderen Geschöpfe schaffen. Durch das Wissen soll der Mensch die Geheimnisse der Schöpfung entdecken, sie zu seinem Gunsten und zum Wohle der ihm dienstbar gemachten Welt verwenden. Das ist das Ziel des Wissens im Islam.

Wechselbeziehung zwischen Religion und Wissenschaft

Inwieweit soll die Moral im alltäglichen Leben Einfluss bekommen und inwieweit ist das Religiöse in dieser Moral nötig? Reicht nicht die menschliche Vernunft und die daraus entstandene Moral aus, um hier in diesen Bereichen den Weg zu zeigen, Grenzen abzustecken, und für das Wohl aller zu sorgen? Für uns Muslime sind Religion und Vernunft keine entgegengesetzten Pole. Wir versuchen unsere Gesellschaft mit Hilfe beider Instanzen gemeinsam zu gestalten. Wir beziehen uns auf die islamischen Quellen und wenden die Vernunft an, um sie zu verstehen und um ihre Grundsätze zeitgemäß anzuwenden.

Wie ist es mit der heutigen modernen Wissenschaft? Manche Religionen setzen der heutigen Wissenschaft unüberwindbare Barrieren und Hemmnisse. Der Islam behandelt das Thema aus einer ganz anderen Perspektive, die durch ein aufgeschlossenes, ja schon immer aufgeklärtes Verhältnis gekennzeichnet ist, wie die jahrhundertelange Geschichte des Islam beweist. Offenes aufgeschlossenes Verhältnis bedeutet jedoch nicht, dass dieses Verhältnis unkritisch ist, oder dass der Islam der Wissenschaft keinerlei Grenzen setzt.

Grenzen der Wissenschaft

Aus islamischer Sicht hat die Wissenschaft, wie jede andere dem Mensch von Gott verliehene Freiheit, vorgesetzte Grenzen, deren Überschreitung als weltliches und als religiöses Vergehen gilt:

Die Wissenschaft muss bei ihrer Forschung und Anwendung die Würde der Menschen schützen und respektieren. „Und Wir haben ja die Kinder Adams geehrt, Wir haben sie auf dem Festland und auf dem Meer getragen und sie von den guten Dingen versorgt, und Wir haben sie vor vielen von denen, die Wir erschaffen haben, eindeutig bevorzugt“(17/70)

Die Würde aller Geschöpfe muss bei Forschung und Anwendung der Wissenschaft beachtet werden. „Es gibt kein Tier auf der Erde und keinen Vogel, der mit seinen Flügeln fliegt, die nicht Gemeinschaften wären, gleich euch.“(6/38)

Die Wissenschaft darf kein Mittel der Vernichtung in der Welt sein und keine solchen Mittel herstellen „Und stiftet auf der Erde kein Unheil, nachdem sie in Ordnung gebracht worden ist.“(7/56)

Die Gebote der Moral und der Barmherzigkeit dürfen zu keiner Zeit und in keinem Bereich missachtet werden.

Die Wissenschaft darf das Wesen der Schöpfung nicht ändern. Sie darf weder eine gesamte Art auslöschen, noch sie so manipulieren, dass das ursprünglich von Gott erschaffene Wesen nicht wieder zu erkennen ist. Dieses wird im Koran als Anstiftung des Satans zu Ungehorsam und Anmaßung gegenüber Gott bezeichnet.

Die Wissenschaft darf sich nicht anmaßen, das Wesen Gottes erforschen zu wollen, wohl aber die Zeichen seiner Existenz, seiner Schöpfung und seiner Gesetzmäßigkeiten, die er in der Natur festgelegt hat.

Das Wissen ist ein Allgemeingut; seine Ergebnisse dürfen nicht von einem Volk, einer Gruppe oder von Einzelnen vereinnahmt und der Gesamtheit der Menschen vorenthalten werden. Die Errungenschaften der Wissenschaft dürfen Niemandem vorenthalten werden, da sie allen Menschen von Gott offengelegt wurden. Die Wissenschaftler und Entdecker sind von Gott bestimmte Mittler. Der gesandte Gottes warnte diejenigen, die nach Wissen gefragt, dieses verschweigen.

Die Risiken der Forschung müssen kalkulierbar sein und in einem vernünftigen Verhältnis zu dem Nutzen stehen. Der islamische Grundsatz lautet: Die Abwendung von Schäden hat Vorrang vor der Suche nach Nutzen.

Zeitgenössische Reflexionen der Moraltheorie im Islam

Diese Regeln finden direkte Anwendung bei der Festlegung der ethischen Grenzen bei zeitgenössischen Problemthemen, z.B. bei der Familienplanung, bei der Euthanasie, beim Hirntod und bei der Organverpflanzung. Gleiches gilt für die Gentechnik, die Gegenstand einer vorherigen Reihe hier an dieser ehrwürdigen Universität war. Bei dieser praktischen Anwendung kann deutlich gezeigt werden, wie Moral sich heutzutage aus diesen althergebrachten islamischen Quellen zeit- und bedarfsgerecht wiederfinden kann. Folgende Aufzählung der bioethischen Regeln in einigen Bereichen soll dies veranschaulichen.

Bioethische Regeln beim Hirntod:

Die internationale Versammlung für islamisches Rechtswesen definierte in ihrem dritten Treffen in Amman, Jordanien, vom 11. bis 16.10.1986 den Tod aus islamischer Sicht wie folgt:

“ Der menschliche Tod, und alle daraus entstehenden islamisch-juristischen Konsequenzen, gilt bei Vorliegen einer der beiden folgenden Zustände:

Bei vollständigem irreversiblen ärztlich festgestellten Herz- und Atemstillstand.

Bei irreversiblem ärztlich festgestelltem Ausfall der Hirnfunktion, auch wenn die Herz- und Atemfunktion noch mechanisch aufrechterhalten wird, bzw. mechanisch aufrechterhalten werden kann.“

Dieses islamische Rechtsgutachten fand breite Akzeptanz in den islamischen Ländern und gilt als islamischer Grundsatz bei dieser Thematik.

Bioethische Regeln bei der Organverpflanzung:

Die Entnahme eines Organs aus dem Körper eines Menschen und seine Verpflanzung in den Körper eines anderen Menschen ist eine erlaubte lobenswerte Handlung und wohltätige Hilfeleistung, die unter Berücksichtigung folgender Einzelheiten den islamischen Vorschriften und der Menschenwürde nicht widerspricht.

Die Organverpflanzung muss die einzig mögliche medizinische Behandlungsmaßnahme für den Empfänger sein.

Der Erfolg bei beiden Operationen, sowohl der Entnahme als auch der Einpflanzung, muss für gewöhnlich oder in den meisten Fällen gesichert sein.

Die Organentnahme darf beim Spender nicht zu einer Schädigung führen, die den normalen Lebensablauf stört, da der islamische Grundsatz lautet:“ Ein Schaden darf nicht durch einen anderen Schaden gleichen oder größeren Ausmaßes behoben werden.” Der Spender würde sich in diesem Fall sonst selbst ins Verderben stürzen, was islamisch nicht erlaubt ist.

Sollte der Schaden beim Empfänger durch eine Organspende von einem Verstorbenen bzw. durch tierisches Material oder technische Mittel zu beheben sein, ist die Organspende von einem lebenden Menschen nicht erlaubt.

Die Abgabe des Organs muss vom Spender freiwillig und nicht unter Zwang erfolgen. Bei Kindern und entmündigten Personen genügt die Zustimmung der Erziehungsberechtigten bzw. des Vormundes nicht, da dies zu einer Entwürdigung und Schädigung der beaufsichtigten Person führt.

Kauf und Verkauf von menschlichen Organen sowie sonstiger Organhandel widerspricht der Menschenwürde und ist verboten. Materielle Zuwendungen und sonstige freiwillige nicht auf kommerzielle Basis beruhende Entschädigungen sind erlaubt.

Da jedem Menschen von Gott Ehre erwiesen und Würde verliehen wurde, können Muslime, Anhänger anderer Offenbarungsreligionen und Nichtgläubige unabhängig von ihrer weltanschaulichen Überzeugung sowohl als Organspender als auch als -empfänger akzeptiert werden. Lediglich rechtskräftig zum Tode verurteilte Personen kommen als Organempfänger nicht in Frage.

Die Entnahme von Organen von einem toten Menschen darf nur nach seiner zu Lebzeiten und bei voller geistiger Kraft erfolgter ausdrücklicher Zustimmung erfolgen. Eine Erlaubnis kann von den Angehörigen erteilt werden, unter der Bedingung, dass vom Verstorbenen keine ausdrückliche Verweigerung zu Lebzeiten ausgesprochen wurde und dass die anderen o.g. Vorschriften beachtet werden.

Bioethische Regeln bei der Familienplanung:

Der Islam erlaubt die zeitbegrenzte Familienplanung durch die Methoden der Ovulationshemmung und Befruchtungsverhütung.

Der Islam verbietet die Abtreibung nach erfolgter Befruchtung als Mittel der Familienplanung und der Geburtenkontrolle.

Der Islam erlaubt keine Abtreibung nach erfolgter Befruchtung und betrachtet dieses als Sünde und Angriff gegen das ungeborene Leben. Die Schwere dieses Verbots nimmt nach Ablauf der ersten vierzig Tage zu.

Bei vorliegender schwerwiegender medizinischer Indikation ist die Abtreibung zu jedem Zeitpunkt erlaubt.

Bei der Behandlung des Themas Moral und Wissenschaft und bei Fragen der Bioethik aus islamisch-moralischer Sicht gelangen wir bei dem einen oder anderen Punkt eventuell zu den gleichen Ergebnissen, zu denen man vielleicht aus säkularer nichtislamischer Sicht ebenfalls gelangt. Für uns ist jedoch von größter Bedeutung, dass diese unsere Einsichten nicht nur im Einklang stehen zu unserem Glauben, sondern sogar von unserem Glauben geboten und gewollt sind. Das ist eine weitere zusätzliche Motivation für jeden Muslim, diese Grenzen zu beachten.

VII.

Äthische Realität in der islamischen Welt

Menschenwürde und Menschenrechte

Menschenwürde und Menschenrechte gehören zum Moralcodex im Islam. Wenn wir davon ausgehen, dass der Islam die Religionsfreiheit garantiert, die Würde eines jeden Menschen respektiert und achtet und als von Gott gegeben betrachtet, wenn der Islam Ungerechtigkeit, Verfolgung und Mord verbietet, und wenn dies alles aus den eigenen Quellen belegbar ist, wie steht es denn mit der heutigen Anwendung dieser Moral in der Realität der islamischen Welt? Hier sehen wir wieder die große Diskrepanz zwischen islamischer Lehre und Muslimen oder zwischen Islam und islamsicher Welt.

Nach dem theoretischen in der islamischen Lehre und der Heranziehung der islamischen Quellen wäre die Unterzeichnung der Menschenrechtsdeklaration heutzutage nicht nur islamisch erlaubt, sondern - zumindest was ihre Grundelemente angeht - sogar gewollt und vorgeschrieben. Über einige Teilbereiche der Deklaration kann man sich streiten, einige Formulierungen ablehnen; in ihrer Gesamtheit und in ihren Grundsätzen wäre ihre Unterzeichnung für die Muslime jedoch überhaupt kein Problem. Die Erlaubnis dazu kann aus der Sunna durch Analogschluss aus einer Begebenheit und einem Spruch des Propheten belegt werden. Vor der Entsendung des Propheten unterzeichnete er ein Abkommen in Mekka, in dem sich die Beteiligten verpflichteten, jedem Unterdrückten, jedem Entrechteten, jedem Verfolgten zu helfen, bis er sein Recht wieder erlangt hat. Der Prophet sagte später: ‘Ich beteiligte mich damals an einem Abkommen, das ich nicht um alle Reichtümer der Welt brechen würde. Sollte ich zu einem ähnlichen Abkommen aufgefordert werden, würde ich mich dessen nicht verweigern.‘ Missachtung der Menschenrechte von den Staaten in der islamischen Welt, ob mit oder ohne Unterzeichnung der Allgemeinen Menschenrechtserklärung, steht im krassen Widerspruch zu der islamischen Lehre.

Muslime in Deutschland

Beachtung der Menschenrechte wird nicht nur von den Staaten erwartet, sondern auch von den einzelnen Muslimen überall. Auch hier muss dieses Bekenntnis zu den Grundrechten aller Menschen von den Muslimen hierzulande deutlich werden. Dies bedeutet für uns im Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD), dass wir jede Menschenrechtsverletzung in Deutschland, in der islamischen Welt oder anderswo verurteilen, uns offen gegen sie stellen und uns für die Anwendung der islamischen Moral im gesellschaftlichen und im politischen Alltag einsetzen. Grundsätzliche Stellungnahmen des ZMD zu Terrorismus und Gewalt im Allgemeinen und zu den Ereignissen in Afghanistan und gegen die Ermordung der Mönche in Algerien, die wir veröffentlichten, sollten diese Einstellung deutlich machen. Anschläge auf Gotteshäuser, kirchliche Einrichtungen und Friedhöfe in Deutschland wurden vom ZMD schärfstens verurteilt.

Vorschriften des Islam in Bezug auf Dialog, Begegnung und Zusammenwirken mit den anderen finden nicht überall Anwendung, obwohl der Islam von der gemeinsamen Menschheitsfamilie ausgeht. Der Prophet pflegte in einem Bittgebet am frühen Morgen zu sagen: ‘O Gott, ich bezeuge, dass alle Menschen Brüder sind‘. Das ist ein Begriff, der heute bei vielen Muslimen auf Befremdung stößt. Wenn wir von dieser großen Menschheitsfamilie ausgehen, wie steht es mit dem Gespräch miteinander, mit dem Dialog und dem Zusammen-wirken auf praktischer Ebene. Ein bescheidener Beitrag dazu versuchen wir im ZMD zu leisten. Unsere Zusammenarbeit mit den Kirchen, dem Zentralrat der Juden in Deutschland, den verschiedenen Institutionen in Deutschland soll diese praktische Seite der islamischen Moral und diese Verpflichtung, die uns im Islam mitgegeben wurde, zeigen.



VIII. Weltethos

Lehnt die islamische Welt die Festlegung eines gemeinsamen einheitlichen Weltethos ab? Eine generelle Ablehnung würde eigentlich im Widerspruch zur islamischen Ethik stehen und eine Reduzierung des eigenen Selbstverständnisses bedeuten. Warum stellen sich also einige Muslime, darunter einige namhafte Gelehrte in der islamischen Welt gegen die Idee eines Weltethos?

Grundsätzlich wäre eine Beteiligung an solchem Werk islamisch nicht nur erlaubt, sondern geboten und gewollt, wie wir oben in Bezug auf die Menschenrechtserklärung belegt haben. Der Grund für die kritische Haltung gegenüber der Idee des Weltethos muss anderswo gesucht werden. Mehrere Versuche, einige Gelehrte für diese Idee zu gewinnen, oder sie zu veranlassen, wenigstens ihre Kritik in einem Jubiläumsbuch darzulegen, schlugen fehl. Grund für diese Haltung ist, dass man in der Formulierung des Weltethos eine Reduzierung des Ethos auf das Minimum sieht. Dem Argument, dieses Minimum soll keine Gemeinschaft daran hindern, mehr Ethos zu verlangen und zu praktizieren, wird mit dem Gegenargument erwidert, dass der Islam und jede Religion es nicht nötig hat, sich auf ein Minimum zu reduzieren, wo man doch zu der gesamten Breite seiner Moral und zur Gesamtheit seines Ethos aufrufen kann. Bei vielen bleibt – nach eingehender Diskussion - der Eindruck bestehen, hier wird ein Gegenpart der Religionen konstruiert, eine Quasi-Religion gegründet, hier wird versucht, den Religionen ihr Hauptanliegen abzunehmen, nämlich die Menschen die ethische Grundlage ihres Daseins zu lehren.

Trotz jeder Kontroverse muss die Menschheit auf eine gemeinsame Basis zusteuern und sich aus allen Richtungen an einem Punkt treffen. Diese Ebene kann entweder das Forum des Weltethos sein, oder die themenbezogene Zusammenkunft, die uns automatisch durch die Rückbesinnung auf die eigene Ethik in der jeweiligen Weltanschauung und Religion zu einander führt.



IX. Abschluss

Der Islam mag manchen als eine sehr strenge, mit vielen Vorgaben und Vorschriften versehene Religion erscheinen, die in ihrer theoretischen Vollkommenheit kaum zu befolgen ist.

Befasst man sich näher mit dem Islam, so erkennt man, wie nötig diese Vorgaben und wie vernünftig diese Grenzen für die Menschheit sind. Man erkennt, dass die Einhaltung dieser ethischen Vorschriften leicht, nicht lästig, ist und dass die gesetzten Abgrenzungen Sicherheit und Befreiung bedeuten, nicht Bevormundung und Bedrängnis.

Braucht der Mensch nicht doch die Herausforderung, um das Beste aus seinen Fähigkeiten herauszuholen?

Muss der Mensch nicht doch ein höheres Ideal anstreben, um das Mittelmaß - oder gerade noch das Minimum - zu erreichen?

Wir hoffen, dass die Menschheit durch die Religion die moralische Orientierung bekommt, die sie zum richtigen ethischen Verhalten verpflichtet und sie dazu führt.



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