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Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V.


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Mittwoch, 01.01.1997

Interreligiöse Versöhnung?



Dr. Nadeem Elyas



Auszüge aus einem Beitrag des ZMD-Vorsitzenden

im Buch ”Versöhnung” herausg. von Lefringhausen

und Ritter anläßlich der ”Europäischen Ökumenischen

Versammlung” im Juni 1997 in Graz





I.



Im Rahmen einer Dialogveranstaltung meldete sich ein Zuhörer und kritisierte den Islam, der von dem gemeinsamen Ursprung der Offenbarungsreligionen , von Gemeinsamkeiten in der Glaubenslehre und von Dialog spricht obwohl Jesus im gesamten Koran nicht mal genannt würde! Von vielen Seiten war unter den Zuhörern Gelächter über diese Unwissenheit zu hören.

Bei einem anderen Vortrag wurde ein heftiger Protest von einem christlichen Teilnehmer gemeldet, weil wir Muslime von einem gemeinsamen Gott in den drei Offenbarungsreligionen sprechen. Er brachte alle Unterschiede zur sprache, die das Gottesbild in den drei Religionen betreffen. Dieses Mal brach kein Gelächter aus, sondern Entsetzen darüber, wie das Wissen zum Mittel der Trennung zwischen den Menschen mißbraucht wird.

Bei der Nennung des Westens und der christlich geprägten Kultur tauchen bei den Muslimen Erinnerungen an die im Jahre 1096 begonnenen Kreuzzüge oder an die mit dem Kolonialismus verbundene Christanisierung und Missionierung islamischer Gebiete und Völker auf. Das Judentum wird von den Muslimen zur heutigen Zeit mit dem Zionismus und der politischen Auseinandersetzung mit Israel gleichgesetzt.

Kriegerische Bilder von dem Fall der orthodoxen Metropole in Konstantinopel im Jahre 1453 oder der Belagerung von Wien durch die Muslime in den Jahren 1529 und 1683 tauchen auf, wenn man in westlichen und christlichen Kreisen von dem Orient und dem Islam spricht. Das Judentum ist im Westen mit verallgemeinerten Erfahrungen und verzerrten Vorstellungen teils aus dem Mittelalter behaftet.

An Vorurteilen und vorgefaßten Meinungen mangelt es auf jüdischer Seite nicht, wenn man von den Anhängern der ”jüngeren ” Weltreligionen und deren Anhängern spricht. Ängste vor Missionierung, erneuter Verfolgung und politischer Unterdrückung treten in den Vordergrund.

Vorurteile prägen das Gedankengut auf allen Seiten und stellen eine schwierige Ausgangslage für den Kontakt mit den anderen dar.



II.

Theologische Grundlagen für die interreligiösen Beziehungen



Die Lehren der Offenbarungsreligionen gehen vom Geist der Barmherzigkeit und der Liebe aus; eine Grundlage, die die Beziehungen zwischen den Anhängern dieser Religionen erleichtert, denn diese Religionen sind immer noch Träger der Kulturen, Antrieb der Gesellschaften und für viele Menschen Richtschnur und Orientierungspunkt.

Grundhaltung im Islam:

Der Glaube an die früheren Propheten und ihre Schriften ist ein unabdingbarer Bestandteil der islamischen Glaubenslehre. ”Sagt, wir glauben an das, was zu uns herabgesandt wurde, und das, was herabgesandt wurde zu Abraham, Ismael, Isaak, Jakob und den Stämmen, und an das, was, Moses uns Jesus zugekommen ist, und an das, was den anderen Propheten von ihrem Herrn zugekommen ist. Wir machen bei keinem von ihnen einen Unterschied. Und wir sind Ihm ergeben.” (Koran 2/136)

Gefragt nach dem Glauben antwortete Muhammad, der Gesandte Gottes,: ”Der Glaube besteht darin, daß du an Gott glaubst und an seine Engel, an seine Bücher, an seine Propheten und an den Jüngsten Tag, sowie an die göttliche Vorsehung des Guten und des Bösen.”

Der Koran spricht von allen Propheten und vor allem von Moses und Jesus mit großem Respekt. In einem prophetischen Spruch heißt es: ”Ich stehe dem Sohne Marias von allen Menschen, sowohl im Diesseits, als auch im Jenseits am nächsten. Alle Propheten sind Brüder, deren Mütter verschieden sind, deren Religion jedoch die gleiche ist.”

Die Muslime werden durch den koranischen Text zur Hochschätzung der Werke der Andersgläubigen erzogen. Der Koran verpflichtet die Muslime, mit den Andersgläubigen den Dialog auf die beste Art und Weise zu führen. Durch die Erlaubnis einer Tisch- und Ehegemeinschaft mit Christen und Juden wird den Muslimen die gesellschaftliche Praktizierung dieser Theorien nahe gelegt.



Moses im Koran:

Moses wird im Islam mit Noah, Abraham, Jesus und Muhammad zu den fünf Propheten gezählt, die eine besondere Stellung durch ihr Leiden und Wirken erreicht haben. Er wird im Koran 136-mal erwähnt. Er, die anderen Propheten und deren Glaubensgemeinschaften, wurden dem Propheten Muhammad und uns Muslimen als Vorbild genannt. ”Wir haben sie erwählt und zu einem geraden Weg geleitet. Das ist die Rechtleitung Gottes.” ”Das sind die die Gott rechtgeleitet hat. Richte dich nun nach ihrer Rechtleitung.” (Koran 6/87 ff). Besonders die Wesensstärke Moses, seine Standhaftigkeit, seine Entschlossenheit, sowie seine Geduld im Umgang mit der eigenen Gemeinschaft und seinen Gegnern wird in vielen langen Abschnitten im Koran hervorgehoben.



Jesus im Koran:

Jesus wird von den Muslimen als Prophet und Gesandter Gottes verehrt. Er wird im Koran insgesamt 35-mal genannt, darunter 25-mal mit dem Namen Issa, 8-mal mit der Bezeichnung Sohn Marias und zweimal mit der Bezeichnung Messias. ”Das sind die Gesandten. Wir haben die einen von ihnen vor den anderen bevorzugt. Unter ihnen sind welche, mit denen Gott gesprochen hat. Einige von ihnen hat Er um Rangstufen erhöht. Und Wir haben Jesus, dem Sohn Marias, die deutlichen Zeichen zukommen lassen und ihn mit dem Geist der Heiligkeit gestärkt.” (Koran 2/253)

Nach Maria, die 34-mal im Koran genannt wird, wird die lange Sure Nr. 19 benannt, in der besonders das vaterlose Empfängnis als Wunder betont wird. Die Muslime glauben an Jesus als Prophet, Gesandter Gottes und Menschen besonderer Auszeichnung, die ihm von Gott verliehen wurden.







III.

Der Dialog und seine versöhnende Funktion



Die Grundlage für einen zivilisierten Umgang miteinander ist uns durch unsere Religionen gegeben. Gerade bei den drei Weltreligionen überwiegen die Gemeinsamkeiten. Zum Weihnachtsfest und Jahreswechsel 1995/96 nannte der Zentralrat der Muslime in Deutschland den o.g. Spruch des Propheten Muhammad, der diese Gemeinsamkeit verdeutlicht: ”Ich stehe dem Sohne Marias von allen Menschen, sowohl im Diesseits, als auch im Jenseits am nächsten. Alle Propheten sind Brüder, deren Mütter verschieden sind, deren Religion jedoch die gleiche ist.”

Im diesjährigen Weihnachtsgruß zitierten wir einen Teil von der Himmelfahrtsgeschichte Muhammads, in dem er von der Versammlung der Seelen der Propheten und deren Gottes Anbetung berichtet und die Bittgebete Von Moses und Jesus zitiert.

Beides taten wir um diese Gemeinsamkeiten uns allen in Erinnerung zu rufen und bei uns allen den Geist des Dialogs wach zu halten.

Der Dialog kann nur dann erfolgreich werden, wenn dieser auf der Ebene der Anerkennung, der Gleichberechtigung und des gegenseitigen Respekts geführt wird. Ziel beider Seiten sollte sein, die andere Seite kennenzulernen, Vorurteile über sie abzubauen, Unterschiede sachlich wahrzunehmen und mit ihr verbindende Gemeinsamkeiten zu erkennen. Dies alles stellt nur den ersten, aber eminent wichtigen, Schritt dar. Der zweite unbedingt notwendige Schritt ist, die Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu erforschen und diese in Angriff zu nehmen.

Ziel des Dialogs darf auf keinen Fall die Missionierung des anderen Dialogpartners oder die Suche nach Kompromissen in theologischen Inhalten sein. Die Bereitschaft, den anderen mit seinen Unterschieden als Mensch zu respektieren und als Partner zu akzeptieren, ist die wichtigste Voraussetzung für einen erfolgreichen Dialog. Diese Grundhaltung wird beiden Seiten ermöglichen, aus dieser Begegnung einen permanenten Zusammenhalt und eine konstruktive Zusammenarbeit zum Wohle aller aufzubauen.

Der Dialog darf nicht auf den ersten Schritt des gegenseitigen Kennenlernens reduziert werden. Besonders setzen die Minderheiten große Erwartungen und Hoffnungen auf den Dialog und das Zusammenwirken aller gesellschaftlichen Gruppen, damit die länger bestehenden Probleme dieser Gruppen sich nicht zu einer Eskalation entwickeln.



Störmomente des Dialogs:

Der Dialog ist vielen Gefahren von innen und von außen ausgesetzt.

Es gibt in keiner Religionsgemeinschaft eine einheitliche weit verbreitete Überzeugung von der Notwendigkeit des Dialogs und eine breitbasige praktische Umsetzung dieser Überzeugung in die Tat. Noch mehr, es gibt bei jeder Religionsgemeinschaft Gruppen und Einzelpersonen, die jeden Dialogversuch und jedes Entgegenkommen den anderen gegenüber aus Überzeugung bekämpfen. Oft argumentieren diese Gegner des Dialogs mit der Sinnlosigkeit oder mit der Gefahr der Selbstaufgabe.

Externe Schwierigkeiten und Hindernisse sind nicht weniger störend. Manche Dialogpartner suchen oft durch den Dialog nur die Bestätigung ihrer Verallgemeinerungen, Vorurteile und vorgefaßten Meinungen. Der Mißbrauch des Dialogs für Zwecke der Missionierung führt zu Mißtrauen von der anderen Seite und Einstellung der Kontakte. Den anderen zum

Sündenbock für Fehler Dritter und ihn dafür verantwortlich zu machen, verwandelt die Dialogebene zu einem Gerichtshof. Aus all diesem Fehlverhalten können keine Kooperationspartner hervorgehen, die bereit sind, eine gemeinsame Strecke mitzugehen und ein gemeinsames Ziel zu erreichen.

Besonders fatal für die Fortsetzung des Dialogs ist es, Religionsgemeinschaften für Fehlverhalten der Politik in Ländern gleicher Bekenntnisse bzw. in den Ursprungsländern verantwortlich zu machen. Noch gefährlicher ist es, die Religionsgemeinschaften in Europa mit gleichem ungerechten Maß zu behandeln, mit dem Andersgläubige z.B. in Nahost behandelt wurden.



IV.

Praktische Versöhnung



Eine Versöhnung zwischen den Religionen ist nicht notwendig, denn die Religionen stehen selbst weder in Feindschaft noch in Gegnerschaft zu einander. Vielmehr brauchen wir eine Versöhnung zwischen den Anhängern dieser Religionen. Diese Versöhnung im Sinne des Sozialfriedens kann nur von Dauer sein, wenn sie auf der Basis von Gerechtigkeit und Gleichberechtigung geschieht. Solcher Prozeß muß selbstverständlich jeweils von zwei Seiten erfolgen, die beide bereit sein müssen, eigene Fehler zu erkennen, zuzugeben und zu verbessern.

Von den Muslimen muß erwartet werden, daß sie sich deutlicher zu dieser Gesellschaft bekennen, sich aktiv an den gesellschaftlichen Prozessen beteiligen und mehr Anpassungsbereitschaft in allen Bereichen zeigen, die nicht religiös zwingend vorgeschrieben sind. Mittelpunkt ihres Lebens, ihres politischen Interesses und ihrer Aktivität muß mehr und mehr die hiesige Gesellschaft und nicht die Herkunftsländer werden.

Für die Muslime können wir die Erwartungen wiederholen, die wir beim Seminar ”Islam und Muslime in Europa” am 29. und 29.11.1996 im Europäischen Parlament in Straßburg stellten:



V.



In seiner Laudatio an Frau Prof. Annemarie Schimmel bei der Vergabe des Friedenspreises 1995 sagte Bundespräsident Roman Herzog im Zusammenhang mit der Völkerverständigung: ”Nur, alles das setzt voraus, daß die Völker und Kulturen mehr übereinander wissen. Ohne gegenseitiges Wissen gibt es kein gegenseitiges Verständnis, ohne Verständnis gibt es keinen gegenseitigen Respekt und kein Vertrauen, und ohne Vertrauen gibt es keinen Frieden, sondern wirklich nur die Gefahr des Zusammenpralls.”

Jeder von uns muß den ersten und wichtigen Schritt in Richtung Versöhnung unternehmen, nämlich auf seinen Nächsten zugehen, den direkten menschlichen Kontakt mit seinen Kollegen, Nachbarn und Geschäftspartnern suchen und die eigenen Vorurteile über die anderen abbauen.

Der Erfolg ist uns gewiß, denn es handelt sich um den vernünftigen Normalzustand zu dem wir zurückkehren, menschlich untereinander zu sein.



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