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Mittwoch, 28.06.1995

Hirntod und Organverpflanzung -1, Anhörung im Bundestag



Stellungnahme




bei der

Anhörung vor dem Gesundheitsausschuß

des Deutschen Bundestages

am 28.06.1995

zu den Themen Hirntod und Organverpflanzung



Autor: Dr. Nadeem Elyas





I. Theologische Grundlage zum Thema Hirntod





1. Die internationale Versammlung für islamisches Rechtswesen definierte nach dreijährigen Studien in ihrem dritten Treffen in Amman, Jordanien, vom 11. bis 16.10.1986 den Tod aus islamischer Sicht wie folgt:

” Der menschliche Tod, und alle daraus entstehenden islamisch-juristischen Konsequenzen, gilt bei Vorliegen einer der beiden folgenden Zustände:

1. Bei vollständigem irreversiblen ärztlich festgestellten Herz- und Atemstillstand.

2. Bei irreversiblem ärztlich festgestellten Ausfall der Hirnfunktion, auch wenn die Herz- und Atemfunktion noch mechanisch aufrechterhalten wird, bzw. mechanisch aufrechterhalten werden kann. ”



2. Dieses islamische Rechts-Gutachten fand breite Akzeptanz in den islamischen Ländern und gilt als islamischer Grundsatz bei dieser Thematik.

Der islamische Gutachterrat von Jordanien übernahm dieses Gutachten gänzlich und schrieb vor, daß zur Feststellung der o.g. medizinischen Kriterien eine dreiköpfige ärztliche Kommission erforderlich sei.









II. Beantwortung der Fragen zur

Bewertung des Hirntodes





1. Die Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirates der BÄK vom 9. April 1982 und die darin enthaltenen Kriterien zur Feststellung des Todes stimmen im Grundsatz mit der o.g. Definition des Todes überein, die auch von uns vertreten wird.

Unserer Einsicht nach sollten beide o.g. Kriterien, nämlich der vollständige irreversible Herz- und Atemstillstand und der irreversible Ausfall der Hirnfunktion, in einem Transplantationsgesetz als Todeskriterien zugrunde gelegt werden.

Nach islamischem Grundsatz soll die Feststellung des Todes nicht über Gebühr hinausgezögert werden. Ein Hinauszögern der Feststellung des Todes, wenn schon die vitalen Funktionen und die Hirnaktivität irreversibel erloschen sind, steht aus islamischer Sicht im Widerspruch zur Würde des Menschen und zu seinem Recht auf würdevolle Behandlung, sowohl im Leben als auch im Tod. Das Hinauszögern der Feststellung des Todes entwürdigt den Menschen zu einer künstlich aufrechterhaltenen biologischen Masse. Das ist aus islamischer Sicht nicht vertretbar.

2. Wir erwarten, daß man sich bei der Feststellung des Hirntodes der sichersten und vor allem schnellsten Methoden bedient, damit durch eine sichere und schnelle Entscheidung die Würde des Verstorbenen bewahrt wird. Die Entscheidungshilfen zur Feststellung des Hirntodes, wie sie von der BÄK empfohlen werden, erscheinen uns ausreichend. Diese Frage kann jedoch von den anderen wissenschaftlichen Sachverständigen besser beantwortet werden.

3. Die Frage nach Fällen einer irrtümlichen Todesfeststellung bei korrekter Anwendung der BÄK-Untersuchungsverfahren kann von uns nicht beantwortet werden.

4. Die Feststellung und Dokumentierug des Todes kann durch zwei dafür qualifizierte Ärzte, die den Verstorbenen unabhängig von einander untersuchen, ausreichend sein, wenn

1. der Begriff ”Qualifikation” präzisiert und in entsprechenden Zeitabschnitten aktualisiert wird und

2. die dazu nötigen Feststellungshilfen und Untersuchungsmethoden ebenfalls präzisiert und in entsprechenden Zeitabschnitten aktualisiert werden.

5. Die Frage nach den Anforderungen an die Todesfeststellung aus der Sicht des Verfassungsrechts, die für die Zulässigkeit einer Organentnahme erfüllt sein müssen, kann von uns nicht beantwortet werden.

6. Theologisch gesehen gilt der Mensch erst dann als tot, wenn seine Seele den Körper verlassen hat. Auch wenn man vom Todeskampf als Prozeß sprechen kann, so ist das endgültige Verlassen der Seele ein Vorgang, der zu einem bestimmten Zeitpunkt geschieht. Da dieser Vorgang primär weder beobachtet, noch auf einen bestimmten Zeitpunkt fixiert werden kann, sind wir auf sekundäre Merkmale angewiesen, die diesen Vorgang andeuten.

Ausgehend vom islamischen Grundsatz

” Gott fordert von niemandem mehr, als er vermag”,

sind wir islamisch gesehen nicht verpflichtet, den Beweis zu erbringen, zu welchem genauen Zeitpunkt die Seele den Körper verläßt. Die sekundären Merkmale, wie der irreversible Herz- und Atemstillstand, sowie der irreversible Ausfall der Hirnfunktion, reichen islamisch gesehen vollkommen aus, um den Zeitpunkt des Todes nach menschlichem Ermessen festzulegen.

Ausnahmen, zumal sie nach unseren Kenntnissen nicht wissenschaftlich relevant sind, dürfen nicht dazu führen, daß eine Festlegung des Todeszeitpunkts unmöglich gemacht bzw. unzumutbar verzögert wird. Dies wird vom islamischen Grundsatz abgeleitet

” Grundlage der Entscheidung ist das Meistverbreitete
und nicht das Seltene oder das Ausgefallene”.

Sollte der Hirntod nur als ein Teil eines langwierigen Sterbeprozesses definiert werden, so sehen wir die Würde des Menschen bei diesem Zustand fehlender zeitlichen Kriterien und konkreten Maßstäbe sehr gefährdet.

7. Sollte man die Auffassung der Kritiker des Hirntodkonzeptes teilen, dann gilt der Mensch in diesem Fall juristisch gesehen noch als ”lebender Mensch”. Eine Organentnahme ist aus islamischer Sicht in diesem Fall nur möglich nach seiner ausdrücklichen Zustimmung. Auch im Falle eines entmündigten lebenden Menschen ist eine Organentnahme aus islamischer Sicht nicht erlaubt, auch nicht mit Zustimmung seines juristischen Vormundes, da dies im Widerspruch zur Menschenwürde des Betroffenen und gegen sein Interesse steht.

8. Sollte man den Kritikern des Hirntodkonzepts folgen, dann müßte konsequenter Weise eine Organentnahme u.E. nur dann möglich sein,

1. wenn eine Zustimmung derselben Person vorliegt, und

2. wenn es sich bei den zu entnehmenden Organen um Organe handelt, die nicht von vitaler Bedeutung für diese noch als lebend geltende Person sind.

Eine ausgedehntere Organentnahme über die o.g. Bedingungen hinaus degradieren diesen noch als lebend geltenden Menschen zum ”Ersatzteillager” und entwürdigen ihn.









III. Theologische Grundlage zum Thema

Organverpflanzung





I.



Anhand der Arbeitsvorlagen und Beschlüsse folgender Gremien

*

Internationale Versammlung für islamisches Rechtswesen, Islamische Weltliga in Mekka, 19. bis 28.01.1985
*

Islamische Organisation für Medizinwissenschaft, 6. Seminar für Medizin und islamisches Rechtswesen, Kuwait, 23.10.1989
*

Islamische Organisation für Medizinwissenschaft, 8. Seminar für Medizin und islamisches Rechtswesen, Kuwait, 22. bis 24.05.1995
*

WHO-Regional Office for the Eastern Mediterranean, Arbeitsvorlage von Prof. Dr. M.N.Yasien, Leiter der Fakultätsabteilung ”Vergleichendes islamisches Rechtswesen” der Universität von Kuwait

wird die zeitgenössische islamische Haltung der sunnitischen Rechtsschulen in Bezug auf Organverpflanzung wie folgt zusammengefaßt:



1. Die Entnahme eines Organs aus dem Körper eines Menschen und seine Verpflanzung in den Körper eines anderen Menschen ist eine erlaubte lobenswerte Handlung und wohltätige Hilfeleistung, die unter Berücksichtigung folgender Einzelheiten den islamischen Vorschriften und der Menschenwürde nicht widerspricht.

2. Die Organverpflanzung muß die einzig mögliche medizinische Behandlungsmaßnahme für den Empfänger sein.

3. Der Erfolg bei beiden Operationen, sowohl der Entnahme als auch der Einpflanzung, muß für gewöhnlich oder in den meisten Fällen gesichert sein.

4. Die Organentnahme darf beim Spender nicht zu einer Schädigung führen, die den normalen Lebensablauf stört, da der islamische Grundsatz lautet:

” Ein Schaden darf nicht durch einen anderen Schaden
gleichen oder größeren Ausmaßes behoben werden.”



Der Spender würde sich in diesem Fall sonst selbst ins Verderben stürzen, was islamisch nicht erlaubt ist.

5. Sollte der Schaden beim Empfänger durch eine Organspende von einem Verstorbenen bzw. durch tierisches Material oder technische Mittel zu beheben sein, ist die Organspende von einem lebenden Menschen nicht erlaubt.

6. Die Abgabe des Organs muß vom Spender freiwillig und nicht unter Zwang erfolgen. Bei Kindern und entmündigten Personen genügt die Zustimmung der Erziehungsberechtigten bzw. des Vormundes nicht, da dies zu einer Entwürdigung und Schädigung der beaufsichtigten Person führt.

7. Kauf und Verkauf von menschlichen Organen sowie sonstiger Organhandel widerspricht der Menschenwürde und ist verboten. Materielle Zuwendungen und sonstige freiwillige nicht auf kommerzieller Basis beruhende Entschädigungen sind erlaubt.

8. Da jedem Menschen von Gott Ehre erwiesen und Würde verliehen wurde, können islamisch gesehen Muslime, Anhänger anderer Offenbarungsreligionen und Nichtgläubige unabhängig von ihrer weltanschaulichen Überzeugung sowohl als Organspender als auch als -empfänger akzeptiert werden.

Lediglich rechtskräftig zum Tode verurteilte Personen kommen als Organempfänger nicht in Frage.

9. Die Entnahme von Organen von einem toten Menschen darf nur nach seiner zu Lebzeiten und bei voller geistigen Kraft erfolgten ausdrücklichen Zustimmung erfolgen. Eine Erlaubnis kann von den Angehörigen erteilt werden, unter den Bedingungen, daß vom Verstorbenen keine ausdrückliche Verweigerung zu Lebzeiten ausgesprochen wurde und daß die sonstigen o.g. Vorschriften beachtet werden.





II.



Abweichend von den o.g. Vorschriften wird in der schi´itischen Rechtsschule folgende Meinung vertreten:

1. Eine Organentnahme von einem toten Muslim ist verboten. Sie darf nur erfolgen, wenn sie für die Lebenserhaltung eines anderen Muslims notwendig ist.

2. Dem Muslim ist der Empfang von Organspenden von anderen muslimischen oder nicht-muslimischen Spendern, sowie die Verwendung von tierischem und technischem Material als Implantate erlaubt.









IV. Beantwortung der Fragen zur

Einbeziehung der Angehörigen in die Entscheidung

über eine Organentnahme





1. Nach unserer religiösen Auffassung soll eine Organentnahme nach dem Tode nur zulässig sein, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten persönlich und ausdrücklich seine Zustimmung dazu gegeben hatte. Die schriftliche Dokumentation dieses Willens ist sicherlich angebracht. Unbedingt erforderlich wird sie in den Fällen sein, wo keine Angehörigen vorhanden bzw. erreichbar sind.

2. Der ausdrückliche Wille des Verstorbenen soll Vorrang haben. Sollten die Angehörigen einen Widerruf dieses Willens in Erfahrung gebracht haben, so sollen sie als Rechtsvertreter des Verstorbenen gelten und den letzten Willen zur Durchführung bringen.
Bei widersprüchlichen Aussagen und Willensbekundungen, soll auf eine Organentnahme verzichtet werden.
In den Fällen, wo der Wille des Verstorbenen nicht bekannt ist, sollen die Angehörigen eigenständiges Entscheidungsrecht haben.

3. Die Frage nach dem Anteil der potentiellen Organspender, die ihre negative bzw. positive Entscheidung dokumentiert haben, kann von uns nicht beantwortet werden.

4. Wir sind der Meinung, daß durch verstärkte Aufklärung und vermehrte Information der Anteil der potentiellen Organspender vergrößert werden kann. Auf keinen Fall darf versucht werden, den Mangel an Aufklärung durch verschärfte Gesetze zu korrigieren. Besonders wegen der Sensibilität und Komplexität dieses Problems sollte seine Lösung auf der Grundlage der Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger und auf ihrer Freiwilligkeit basie ren.

5. Der Engpaß, der als Auswirkung der engen Zustimmungslösung zu befürchten ist, soll, falls diese zur Grundlage des neuen Gesetzes wird, durch verstärkte Aufklärung vermieden werden. Jede Art der Verpflichtung zur Willensbekundung halten wir für unpraktisch, da die meisten Unentschlossenen sich gegen eine Organentnahme entscheiden würden. Sinnvoller und liberaler ist es, die freiwillige Entscheidung und Beurkundung zu erleichtern und vermehrt anzubieten.

Auch bei der erweiterten Zustimmungslösung bleiben die o.g. Maßnahmen, nämlich die Aufklärungspflicht und die Motivierung zur freiwilligen Entscheidung, unabdingbar.

6. Die Transplantation nach Deutschland vermittelter Organe ist nur dann vertretbar, wenn bei ihrer Gewinnung im Ausland die hier geltenden und von uns erwähnten moralischen und ethischen Aspekte beachtet werden. Auf keinen Fall darf Deutschland zu einem Markt für illegal erworbene oder unter wirtschaftlichen Zwängen erkaufte Organe werden. Besonders hier gilt es, die Würde des Menschen in den ärmsten Ländern unserer gemeinsamen Völkerfamilie zu schützen.



(Best.-Nr. V.04)



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