Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. |
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Freitag, 22.05.2009
23.05.09 Anlässlich des 60. Geburtstags des Grundgesetzes hat der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime die verbreiteten Zweifel an der Verfassungstreue deutscher Muslime kritisiert
Loyalität zum Grundgesetz sei "eine bare Selbstverständlichkeit und es mutet etwas seltsam an, wenn einem ständig Bekenntnisse dazu abgefordert werden", sagte Aiman A. Mazyek dem in Berlin erscheinenden "Tagesspiegel". Es stimme zwar, dass auch in den muslimischen Gemeinden der Islam gelegentlich so gelesen werde, "als sei er die Anleitung zu einer anderen Gesellschaftsordnung". Da müssten auch die Muslimverbände weiter aufklären. Man solle aber "die Moschee im Dorf lassen", sagte Mazyek. "Für die übergroße Mehrheit der Muslime in Deutschland ist es eine Selbstverständlichkeit, Bürger dieses Staates zu sein und auf dem Boden der Verfassung zu stehen." Das Grundgesetz sei "wunderbar" und die Scharia kein Hindernis für Verfassungstreue. Nur Glaubensdinge wie Gebet und Bekenntnis seien daran unveränderlich, alles übrige "veränderlich und dynamisch": "Die Scharia ist kein Katechismus." Mazyek: "Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein guter Muslim ein schlechter Bürger sein sollte."
Mazyek kritisierte zugleich die Sicherheitspolitik im Rahmen der Terrorismusbekämpfung. Muslime fühlten sich da manchmal als "unfreiwillige Steigbügelhalter" und es mache ihn als Muslim "traurig und sprachlos", wie wenig Widerstand es aus der übrigen Gesellschaft gebe, sobald die Einschränkung von Freiheitsrechten mit dem Kampf gegen islamistischen Terror begründet werde. "Tatsächlich beschneidet man im Datenschutz, beim Abhören die Freiheiten aller Bürger."
Interview in voller Länge:
Bundesinnenminister Hermann Höcherl von der CSU trug sich 1963 mit dem Satz in die Geschichte ein, man könne nicht ständig das Grundgesetz unterm Arm tragen. Gilt das auch für die deutschen Muslime?
Eigentlich fordert unser Grundgesetz nicht, dass man es ständig unterm Arm trägt. Als Muslim konnte man allerdings in den letzten Jahren den Eindruck haben, dass wir es auswendig können sollten. Loyalität zum Grundgesetz ist eigentlich eine bare Selbstverständlichkeit und es mutet etwas seltsam an, wenn einem ständig Bekenntnisse dazu abgefordert werden. Verständliche Ängste wollen wir allerdings ernst nehmen.
Welche sind verständlich?
Unbestreitbar wird auch von muslimischer Seite der Islam gelegentlich zum Instrument einer Art Klassenkampf gemacht, als sei er die Anleitung zu einer anderen Gesellschaftsordnung. Da müssen wir weiter in den eigenen Gemeinden aufklären. Man sollte aber die Moschee im Dorf lassen: Für die übergroße Mehrheit der Muslime in Deutschland ist es eine Selbstverständlichkeit, Bürger dieses Staates zu sein und auf dem Boden der Verfassung zu stehen. Das Grundgesetz ist doch wunderbar!
Die jüngste Umfrage des US-Meinungsforschungsinstituts Gallup hat herausgefunden, dass gerade deutsche Muslime loyaler zu ihrem Land stehen als der Durchschnitt der deutschen Bevölkerung.
Eben. Das zeigt, dass das keine Rhetorik von mir oder Taktik ist. Um es etwas anzuschärfen: Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein guter Muslim ein schlechter Bürger sein sollte. Einschränkungen demokratischer Freiheiten treffen Muslime zudem ebenso wie Nichtmuslime.
Was meinen Sie?
Vor allem das, was im Zuge der Terrorbekämpfung passiert. Wir fühlen uns da manchmal als unfreiwillige Steigbügelhalter einer Sicherheitspolitik, die sich scheinbar gegen religiös begründeten Terror richtet und die übrige Gesellschaft in der trügerischen Sicherheit wiegt: Das richtet sich gegen die Islamisten. Tatsächlich beschneidet man im Datenschutz, bei Abhörmöglichkeiten die Freiheiten aller Bürger. Als Muslim macht es mich traurig und sprachlos, wie wenig Chancen es für einen Widerstand aller Bürger gibt, sobald es heißt: Wir schützen euch doch nur vor den Islamisten. Und wenn Muslime sich wehren, heißt es: Klar, ihr müsst euch davor ja auch fürchten. Nein, wir müssen uns alle fürchten. Die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit ist beschädigt. Und die Einschränkung von Freiheitsrechten kann nebenbei auch weniger Sicherheit bedeuten.
Zurück zum Grundgesetz: Die Scharia, der islamische Rechts- und Verhaltenskodex, steht in dringendem Verdacht, damit kaum vereinbar zu sein.
Die Scharia wird oft als Steinbruch missbraucht, aus dem sich jeder holt, was ihm gerade so passt. Damit meine ich ausdrücklich nicht nur die Islamkritiker, sondern auch manchen Muslim. Tatsächlich ist aber davon wenig unveränderlich, und das sind die Dinge des Glaubens, etwa die Pflicht zum Glaubensbekenntnis, zum täglichen Gebet. Alles andere ist veränderlich und dynamisch, weil es nicht von Gott gegeben, sondern von Menschenhand und Menschenverstand gemacht ist. Und dies gilt es immer wieder der Zeit und dem Ort anzupassen. Die Scharia ist kein Katechismus.
Werden die deutschen Muslime eines Tages wie die Kirchen ihren Platz in dem Rahmen finden, den das Grundgesetz setzt?
Ich sehe gute Chancen, schon weil auf beiden Seiten die Leidens- und Einsichtsfähigkeit stetig wächst. Wir sind aber noch weit von der Gleichbehandlung entfernt. Und wir sind erst im Vorgarten eines Gesprächs zwischen Staat und Muslimen, wir haben noch nicht einmal allen Sachverstand von Kirchen- und Verfassungsrechtlern gebündelt, den es dazu in Deutschland gibt. Ich denke, die Muslime werden früher oder später ihren Platz im deutschen Religionsverfassungsrecht bekommen, womöglich als Körperschaft öffentlichen Rechts. Sie werden das aber anders tun als die Kirchen.
Welcher Artikel des Grundgesetzes bedeutet Ihnen persönlich am meisten?
Der, der auch dort an erster Stelle steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Daraus folgt alles andere.
Das Gespräch führte Andrea Dernbach vom Tagessoiegel am 22.05.09
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