Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. |

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Donnerstag, 10.04.2025
Pressemitteilung zum Koalitionsvertrag von CDU/CSU & SPD
„Verantwortung beginnt mit Anerkennung – Koalitionsvertrag blendet muslimisches Leben aus“
Köln - Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) zeigt sich tief besorgt über die inhaltlichen Leerräume und unausgewogenen Schwerpunktsetzungen im Koalitionsvertrag 2025. Während die Koalitionsparteien unter dem Leitmotiv „Verantwortung für Deutschland“ regieren wollen, bleibt ein zentraler Teil der Gesellschaft unerwähnt: Musliminnen und Muslime.
Besonders gravierend ist das vollständige Fehlen einer expliziten Benennung von antimuslimischem Rassismus – obwohl muslimfeindliche Einstellungen und Übergriffe seit Jahren dokumentiert sind und zur Lebensrealität vieler Menschen gehören. Der von den Koalitionären angekündigte Nationale Aktionsplan gegen Rassismus bleibt in dieser Hinsicht vage und unvollständig. Eine Strategie, die Diskriminierung bekämpfen will, muss ihre Erscheinungsformen deutlich benennen – auch dann, wenn sie Muslime betrifft.
Muslimisches Leben wird im Vertrag nicht einmal erwähnt. Besonders schwer wiegt, dass muslimisches Leben im gesamten Koalitionsvertrag weder benannt noch in irgendeiner Weise wertschätzend anerkannt wird. Die Beiträge muslimischer Gemeinden zu Bildung, Sozialem, Kultur und Zusammenhalt finden keine Erwähnung. Stattdessen taucht der Begriff „Islam“ ausschließlich im Zusammenhang mit Islamismusbekämpfung und Sicherheitsbedrohung auf. Diese einseitige Darstellung transportiert ein verzerrtes Bild – und setzt ein falsches politisches Signal.
Auch politisch ignorieren die Koalitionäre eine wachsende Realität: Musliminnen und Muslime sind nicht nur Teil dieser Gesellschaft – sie sind auch politisch aktives Wähler:innenkapital. Bei der letzten Bundestagswahl wurde deutlich, dass sich ein großer Teil der muslimischen Wähler:innen für Parteien links der Mitte entschieden hat – insbesondere dort, wo ernstzunehmende Angebote gemacht wurden, die muslimisches Leben in Deutschland sichtbar, gleichberechtigt und respektvoll mitdenken. Diese Entwicklung macht deutlich: Wer glaubwürdig Teilhabe versprechen will, muss die muslimische Community in Deutschland aktiv mitdenken und einbinden.
Gerade die migrationspolitische Ausrichtung des Koalitionsvertrags offenbart jedoch ein gegenteiliges Bild: Hier überwiegt ein restriktiver, ausschließender Ton. Rückführungen, Sanktionen und Zugangsbeschränkungen stehen im Vordergrund, während Teilhabe, soziale Öffnung und gerechte Chancen kaum Erwähnung finden. Die Koalitionsparteien verlieren aus dem Blick, dass Deutschland längst ein Einwanderungsland ist – und seine Zukunft nur mit, nicht gegen Migration gestalten kann.
Die religionspolitische Ausrichtung des Vertrages bleibt hinter demokratischen Standards zurück. Zwar wird die Rolle der Kirchen anerkannt, doch islamische Religionsgemeinschaften bleiben völlig unsichtbar – weder bei Fragen wie Religionsunterricht, Seelsorge oder Wohlfahrtsarbeit, noch bei der institutionellen Kooperation mit staatlichen Stellen. Der vielfach beschworene interreligiöse Dialog bleibt somit unvollständig und unausgewogen.
In der Außenpolitik unterstreichen die Koalitionäre – zu Recht – das Existenzrecht Israels. Gleichzeitig bleibt ihre Haltung zur Lage in den palästinensischen Gebieten unklar. Die angekündigte „zu verhandelnde Zweistaatenlösung“ wird nicht durch konkrete politische Maßnahmen gestützt. Menschenrechtliche Perspektiven auf das palästinensische Leid fehlen, ebenso wie jede Erwähnung internationaler völkerrechtlicher Mechanismen – der Internationale Strafgerichtshof wird im gesamten Vertrag nicht erwähnt.
„Wer Verantwortung übernehmen will, darf nicht ganze Bevölkerungsgruppen übersehen. Musliminnen und Muslime sind fester Teil dieses Landes. Ihre strukturelle Unsichtbarkeit im Koalitionsvertrag ist kein Zufall – sie ist ein politischer Mangel, der Konsequenzen haben wird.“
— Abdassamad El Yazidi, Bundesvorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland
Der ZMD fordert von den Koalitionären eine politische Neuausrichtung, die dem Versprechen gesellschaftlicher Verantwortung gerecht wird. Im Zentrum müssen strukturelle Anerkennung, gleichberechtigte Beteiligung und konkrete Maßnahmen stehen, unter anderem:
- die Benennung und wirksame Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus im Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus;
- die öffentliche Sichtbarmachung und strukturelle Förderung muslimischen Lebens – in Bildung, Wohlfahrt, Kultur sowie durch verlässliche Unterstützung muslimischer Gemeinden und zivilgesellschaftlicher Organisationen;
- die Einsetzung eines oder einer Beauftragten für muslimisches Leben in Deutschland, um eine kontinuierliche, institutionalisierte Interessenvertretung auf Bundesebene zu schaffen;
- eine menschenrechtsbasierte Migrationspolitik, die Teilhabe, Gerechtigkeit und Menschenwürde in den Mittelpunkt stellt – nicht Abschottung und Sanktionierung;
- eine gleichberechtigte Religionspolitik, die muslimische Gemeinschaften auf Augenhöhe einbindet und nicht länger institutionell benachteiligt;
- sowie eine Außenpolitik, die sich konsequent an universellen Menschenrechten orientiert – auch im Umgang mit Palästina, Gaza und dem Völkerrecht.
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