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Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V.

Montag, 03.02.2025


03.02.2025 Antimuslimischer Rassismus grassiert: „Nie wieder“ gilt nicht für alle

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland äußert große Besorgnis wegen der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen

80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz zeigt sich, dass das universelle Versprechen „Nie wieder“ in Deutschland nicht für alle gilt. Während sich deutsche Politiker in den Gedenkveranstaltungen anlässlich des Internationalen Holocaust-Gedenktags zurecht zur historischen Verantwortung Deutschlands bekennen, erleben Musliminnen und Muslime hierzulande ein besorgniserregendes Ausmaß an Hass, Hetze und Gewalt. Antimuslimischer Rassismus nimmt dramatisch zu, während politische und mediale Akteure diesen nicht nur verharmlosen, sondern aktiv befeuern.

Die Fakten sprechen für sich: 2023 wurden in Deutschland 1464 islamfeindliche Straftaten registriert, darunter 70 Angriffe auf Moscheen – ein Anstieg von über 140 % im Vergleich zum Vorjahr. CLAIM dokumentierte 1926 Fälle von antimuslimischem Rassismus, mehr als doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Muslimische Frauen mit Kopftuch sind besonders betroffen.

Die Leipziger Autoritarismus-Studie 2024 zeigt, dass antimuslimischer Rassismus längst in der gesellschaftlichen Mitte angekommen ist. Die FES-Mitte-Studie 2023 bestätigt, dass islamfeindliche Positionen zunehmend Zustimmung finden und demokratische Grundwerte untergraben werden. Während Musliminnen und Muslime, darunter auch Kinder, bedroht, diffamiert und angegriffen werden, schüren politische und mediale Akteure gezielt Ressentiments und verschieben die Grenzen des Sagbaren.

Die Folgen sind fatal: Bombendrohungen gegen Moscheen, Angriffe auf Muslime und muslimische Einrichtungen, Anfeindungen im Alltag (nur in den letzten Tagen: Düsseldorf, Essen, Duisburg, Köln, Penzberg). Statt einzuschreiten, lässt eine populistische Politik dies zu oder befeuert diese Entwicklungen sogar. Diese Gewalt ist kein Zufall, sondern das direkte Resultat einer gesellschaftlichen Atmosphäre, in der antimuslimischer Rassismus zunehmend als legitim betrachtet wird.

Ein aktuelles Beispiel für diese gefährliche Entwicklung ist der offene Brief des israelischen Botschafters Ron Prosor an den Spiegel. In den diskreditierten Interviews wurden auch Stimmen von Muslimen abgedruckt, die vorrangig die zunehmende Erschwernis des muslimischen Lebens in Deutschland zum Ausdruck bringen.   Dies ist insbesndere für die Zeit seit dem 7. Oktober 2023 zu konstatieren. Das publizistische Interesse eines politischen Magazins an der bedrückenden Lebenswirklichkeit von Muslimen hierzulande ist bedauerlicherweise extrem selten. Umso wichtiger war die Entscheidung – und offenbar auch der Mut – des Spiegel, dem Thema Aufmerksamkeit zu schenken. Mit dem irrigen Vorwurf, diese Berichte gingen „weit über die Relativierung des Holocaust hinaus“, überschreitet Prosor die Grenzen des Anstands.

Der ZMD nimmt diesen Vorfall zum Anlass, auf die gezielte Diffamierung muslimischer Stimmen in Deutschland hinzuweisen. Äußerungen wie jene Prosors, wie die der AFD und Insinuierungen aus dem rechtskonservativen Milieu tragen massiv zur gesellschaftlichen Spaltung bei.   Es braucht eine entschlossene Reaktion. Antimuslimische Straftaten müssen konsequent verfolgt, Moscheegemeinden besser geschützt und rassistische Narrative in Medien und Politik entlarvt und zurückgewiesen werden.   Deutschland kann sich nicht gleichzeitig an Auschwitz erinnern und wegsehen, wenn eine neue Bevölkerungsgruppe in der Gegenwart zur Zielscheibe gemacht wird. Wer „Nie wieder“ ernst nimmt, muss jetzt handeln – bedingungslos, kompromisslos, konsequent.  Es geht um nicht weniger als Menschenleben.

Frankfurt/Berlin 03.02.25/5. Sha'ban 1446 n.H.

Links:   CLAIM Zivilgesellschaftliches Lagebild antimuslimischer Rassismus https://www.claim-allianz.de/content/uploads/2024/06/20240620_lagebild-amr_2023_claim.pdf?x91564

Heinrich Böll Stiftung Leipziger Autoritarismus-Studie https://www.boell.de/de/2024/11/13/vereint-im-ressentiment-autoritaere-dynamiken-und-rechtsextreme-einstellungen



Friedrich Ebert Stiftung Mitte-Studie https://www.fes.de/index.phpeID=dumpFile&t=f&f=91776&token=3821fe2a05aff649791e9e7ebdb18eabdae3e0fd