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Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V.

Donnerstag, 23.12.2004


23.12.04 Offener Brief an den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche Deutschland Bischof Wolfgang Huber



Sehr geehrter Bischof Huber,

gestatten Sie mir, Ihnen mit diesem offenen Brief auf Ihre Aussagen in der Sendung Sabine Christiansen vom 19. Dezember 2004 zu antworten, da Sie selbst die Öffentlichkeit eingeschaltet haben.

Sie stellten fest, dass Sie den Zentralrat Anfang November zu einem Gespräch am 11. Januar 2005 eingeladen und bis jetzt keine Antwort bekommen haben. Dieses kommentierten Sie mit den Worten: „Da wird mit der Frage des Kontakts Politik gemacht, anstatt dass man miteinander spricht.“ Sie werfen uns vor, uns „einem kritischen Dialog zu verweigern“, weil wir „möglicherweise kritische Dinge ausklammern wollen.“

Diese Behauptungen entsprechen nicht der Wahrheit.

Tatsache ist, dass ich Sie vor genau einem Jahr (am 17. Dezember 2003) um ein Gespräch gebeten habe, „um die Möglichkeit eines direkten Austausches zu umstrittenen und weniger umstrittenen Themen wie Kopftuch, islamischer Religionsunterricht, Sicherheitssituation u.s.w. wahrzunehmen".
Da Ihre Antwort ausblieb und die genannten kritischen Themen zu eskalieren drohten, verwies ich bei vielen unserer direkten Begegnungen aus anderen Anlässen auf die Notwendigkeit des Dialogs und bat wiederholt um ein klärendes Gespräch. Am 14. Januar 2004 bekräftigte ich noch einmal schriftlich meine Bitte um ein Gespräch mit Ihnen und dem ZMD-Vorstand „in den nächsten beiden Wochen“.
Ihre schriftliche Antwort lautete, dass Sie dieses „Anliegen im Auge behalten werden.“ Sie baten um Verständnis, dass Sie nach der Amtsübernahme Ihre beiden Kalender, des landeskirchlichen Hauptamtes und des Ratsvorsitzenden, überprüfen und erst „Überblick gewinnen müssen, wo die Prioritäten liegen“.

Nun nach einem Jahr scheint der Dialog mit den Muslimen endlich einen Platz in Ihren Kalendern bekommen zu haben.
Bei der Wichtigkeit Ihrer Ämter können wir Verständnis dafür aufbringen. Kein Verständnis haben wir aber dafür, dass Sie nun den Spitzenorganisationen der Muslime vorwerfen, sie hätten sich dem Dialog verweigert. Vielmehr müssten wir Ihnen anhand des genannten Sachverhalts mit Recht vorwerfen, Sie haben den Dialog mit uns - trotz unserer ständigen Bitten - zu dem Zeitpunkt vermieden, wo es am nötigsten war.

Anstatt mit den Muslimen zu sprechen zogen Sie es während dieses Jahres vor, sie über die Medien in Bezug auf ihre Glaubensüberzeugungen und -praxis zu belehren. Das Kopftuch, so ließen Sie uns über DIE WELT vom 29. Dezember 2003 sagen, sei „gewissermaßen neue Erfindung im Islam seit der Iranischen Revolution“. Anscheinend hatte die Iranische Revolution eine wundersame retrospektive Wirkung über Jahrhunderte überall in der Welt gehabt.
Anstatt mit den Muslimen zu sprechen, sparten Sie nach jedem terroristischen Anschlag während dieses Jahres nicht mit Forderungen über die Presse, die Muslime in Deutschland sollen sich vom Terrorismus distanzieren. Sie wollten sich nicht die Mühe machen, die längst erfolgten unzähligen Verurteilungen aller islamischen Organisationen jeder Art von Terror und Gewalt zu lesen. Allein der ZMD äußerte sich seit dem 11. September 2001 mehr als 400-mal diesbezüglich. Dass Ihnen all das entgangen ist, hielten wir und viele Muslime für nicht möglich und konnten Ihre wiederholten Forderungen nur als Ausdruck des Zweifels an die Ehrlichkeit der Aussagen sämtlicher islamischer Organisationen in Deutschland deuten.
Keine islamische Organisation in Deutschland würde auf die Idee kommen, von den Kirchen ähnliche Distanzierungen nach Ausschreitungen z.B. in Nordirland oder im Baskenland zu fordern, weil wir davon ausgehen und ausgehen müssen, dass die Kirchen und ihre Lehre nicht dahinter stehen und dies ohnehin verurteilen und missbilligen.
Warum gehen nicht auch Sie von einer solchen vertrauensvollen und respektvollen Haltung gegenüber den Muslimen in Deutschland aus?
Warum unterstellen Sie uns ständig mit ihren Forderungen über die Presse, wir würden mit dem Terrorismus sympathisieren?
Wo blieb Ihre Verurteilung der Gewalt, die gegen die Moscheen in Deutschland - auch vor dem 11. September 2001 - dutzendfach verübt wurde, oder wo blieb zumindest Ihre Betroffenheit und Solidaritätsbekundung?
Warum lehnten Sie während des krisenvollen Jahres entschieden jedes direkte Gespräch mit den Muslimen ab?

Sehr geehrter Bischof Huber, nicht wir machen mit der Frage des Kontakts Politik, sondern Sie, indem Sie das Bild vor Millionen Zuschauer verdrehen. Nachdem Sie den Dialog wiederholt mit allen Muslimen über ein Jahr verweigert haben, stellen Sie uns als Diaologverweigerer dar.

Ihre bei der Sendung genannte Einladung erging übrigens nicht an die islamischen Organisationen, sondern an die „muslimischen Mitglieder des Islamisch-Christlichen Arbeitskreises (ICA)“.
Der ICA ist, wie Sie von Ihren Mitarbeitern sicher unterrichtet sind, ein loser Gesprächskreis einzelner Personen, die sich - sowohl Muslime als auch Christen - ohne Vertretungsauftrag zusammengefunden haben. Dabei sitzen auch Einzelpersonen, die nicht einmal einer Moscheegemeinde bzw. einer Kirchengemeinde vorstehen. Wäre es nach einem Jahr Wartezeit nicht angebracht gewesen, die islamischen Spitzenorganisationen beim Namen zu nennen und sie direkt einzuladen?

Der ZMD verschließt sich nicht dem Dialog und scheut keineswegs die kritische Auseinandersetzung. Dies beweist unsere Mitgliedschaft in Dutzenden von Dialoggremien.
Unsere positiven Erfahrungen mit Ihren Vorgängern im Amt des Ratsvorsitzenden und unsere langjährige konstruktive Zusammenarbeit mit Mitgliedern vieler Evangelischer Gemeinden und Landeskirchen lassen uns hoffen, dass der Dialog zumindest auf dieser Ebene weiter gehen wird.
Unser Glaube lässt uns hoffen, dass auch Sie, lieber Herr Bischof Huber, zu einer sensibleren und respektvollen Umgangsweise mit dem Islam und den Muslimen finden werden.

Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie ein fröhliches Weihnachtsfest und ein friedvolles neues Jahr.

Ihr
Nadeem Elyas
Eschweiler, 23. Dezember 2004