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Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V.

Mittwoch, 25.07.2012


24.07.2012 „Demokratie wehrt sich…“. Rede von Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrates der Muslime in Deutschland (ZMD) im Gästehaus der Niedersächsischen Landesregierung (Hannover)

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Innenminister Schünemann, sehr geehrte Damen und Herren.
Ihrer Einladung sind wir gefolgt, da wir als Bürger dieses Landes an dessen Sicherheit ein existentielles Interesse haben und es als unsere staatsbürgerliche und demokratische Pflicht ansehen, uns dafür auch aktiv einzusetzen. Wir haben immer in Wort und Tat deutlich gemacht, der Kampf gegen jegliche Form des Extremismus ist für uns Bürger- und Muslimpflicht. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Schon früh hat der Zentralrat der Muslimen in Deutschland (ZMD) auch vor dem Missbrauch der Religion durch Extremisten thematisiert. Bereits 2006 haben wir eine Studie über gefährliche Internetseiten veröffentlicht, wo versucht wurde über Themen wie dem Irakkrieg oder Nahostkonflikt gewaltbereite Muslime zu rekrutieren. 2008 haben wir – nur als ein Beispiel von vielen – eine im ganzen Bundesgebiet verbreitete Hassmail (Azam-Mail), theologisch fundiert zurückgewiesen. Diese Handreichung hat bis heute einen großen Verbreitungsgrad. Der ZMD organisiert seit Jahren Schulungen für Imame und Vorstände, um sie für diese Herausforderungen zu  sensibilisieren so die Gemeinden fit zu machen sich dieser zu erwehren. An dieser Stelle sei auch angemerkt, dass Muslime selber ein existentielles Interesse haben gegen Extremismus vorzugehen, nicht zuletzt deswegen, weil die meisten Opfer von Terroranschlägen weltweit schließlich Muslime selber sind.
Für uns, wie für die absolute Mehrheit der Muslime weltweit gilt der Prophetenspruch: „Ein Muslim ist der, von dem die Menschen in Sicherheit sind“

Angesichts der Diskussionen über radikale Salafisten warnen wir vor einer Schwächung der gemäßigten Mehrheit der Muslime in Deutschland. Wir müssen aufpassen, dass wir durch eine ständige Hervorhebung des Extremismus nicht Gefahr laufen, dass die friedliebende Mehrheit unter die Räder kommt. Verlierer sind die Vertreter der Mitte. Die übermäßige Darstellung von radikalen Randgruppen erweckt in der Summe den Eindruck, dass es um den Islam als solches geht. Das nutzt am Ende nur den Extremisten hüben wie drüben. Zudem fehlt der Politik bisher Konzepte und Signale, wie die friedliebenden Muslime gestärkt werden, z.B. durch mehr Partizipation und einen ernsthaften Kampf gegen alle möglichen Formen des Extremismus.

Die von Ihnen, Herr Minister Schünemann erst kürzlich heraus gegebene Broschüre „Radikalisierungsprozesse im Bereich des islamistischen Extremismus und Terrorismus“ bricht leider mit diesem Trend nicht. Wir sind der Meinung, dass dies ein falscher Ansatz der Präventionsarbeit ist. Die Broschüre soll insbesondere Lehrer und Mitarbeiter von Jugend- und Ausländerbehörden sensibilisieren, muslimische Radikalisierungsprozesse bei Jugendlichen zu erkennen und präventiv dagegen vorgehen zu können. Dabei werden beispielsweise Faktoren wie „plötzliche Verschuldung“ oder „Gewichtsverlust“ und die Altersgruppe 15 bis 35 Jahre in Zusammenhang gebracht und als Maßstab für einen möglichen Radikalisierungsprozess genommen. Selbst die Gebetspraxis der Muslime wird zum Verdachtsmoment erklärt. Das schürt Ängste und bekämpft kein Extremismus.
Wer dann erwartet, dass Muslime sich dafür als Verbündete hergeben, darf sich nicht wundern, wenn nachfolgend DITIB und die Schura Niedersachsen bei dieser Stigmatisierung nicht mitwirken wollen und die Zusammenarbeit aufkündigen. Ohnehin waren von vorne herein kaum Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Erarbeitung der Broschüre vorgesehen. Solche Konzepte sind weder zielführend, noch zweckdienlich. Mit Gesinnungsschnüffelei und behördlichen Denunzierungsanreizen werden wir kein Schritt weiterkommen.

Meine Damen und Herren, die über 2000 Moscheegemeinden in Deutschland sind trotz ihrer strukturellen Benachteiligung – sie kommen i.d.R. weder in Genuss staatlicher Förderung noch sonstiger öffentlicher Mittel, sondern bestreiten alles aus eigenen Spendenmittel -  in der großen Mehrheit durchaus gewappnet, um radikalem Gedankengut entgegenzutreten. In den Gemeinden werde durch unterschiedliche Formen - in Freitagspredigt, Seminaren, Fortbildungen - darauf hingewiesen, was Extremismus bedeutet und das er schändlich im Islam ist (Prophet warnte eindringlich vor Extremismus und Übertreibung in der Religion) . Es ist deswegen für uns nicht verwunderlich, dass extreme Formen des Islam im Gefolge des Internets wesentlich mehr Ausbreitung finden als in den Moschee-Gemeinden.
Unsere Imame werden durch Handreichungen für die Problematik der Radikalisierung in der Religion sensibilisiert. Diese Arbeit gilt es durch Unterstützungsprogramme, etwa im Bereich der politischen Bildung oder die Ausbildung von Scouts, die Jugendliche von den Gefahren der Ideologisierung der Religion erzählen, nachhaltig zu unterstützen. Hier kann die Öffentliche Hand sich beteiligen. Eine Forderung, so wie der Ruf nach einem qualitativen Aussteigerprogramm für Extremisten,  die wir bereits vor fünf Jahren aufgestellt haben, die aber bisher ungehört geblieben ist.

Nicht gewappnet sind wir jedoch, was die die ständigen und steigenden Angriffe, Hassdelikte und Übergriffe von Neonazis und Rechtsradikale auf Moscheen, muslimische Bürger und deren Einrichtungen angehen.

Meine Damen und Herren, islamfeindliche Straftaten haben um 23 Prozent zugenommen: Laut Kriminalstatistik des Innenministeriums verübten Rechtsextremisten über die Hälfte der politisch motivierten Straftaten im Jahre 2011. Laut Angaben des Bundesinnenministeriums wurden im Jahr 2011 insgesamt 30 216 politisch motivierte Straftaten gemeldet. Davon gingen 1 010 oder 3,3 Prozent auf das Konto von Ausländern und mehr als die Hälfte (16 873) auf das Konto von Rechtsextremisten. Diese verübten im Schnitt 2,7 Gewalttaten täglich (828), verletzten pro Tag einen Menschen aus fremdenfeindlichen Motiven heraus (338), verübten täglich fast sieben fremdenfeindliche Straftaten (2 528) und versuchten fast in jedem zweiten Monat, einen Menschen zu töten. Bundesinnenminister Dr. Friedrich zeigte sich besorgt darüber, dass 2011 besonders ausländerfeindlich motivierte Gewalttaten mit etwa 22,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zugenommen hätten. Er verwies zudem auf die der rechtsextremen Kriminalität „innewohnende Brutalität“, die sich in einer deutlich höheren Quote an Verletzten im Verhältnis zur Anzahl der Gewalttaten offenbare. Unter Berücksichtigung der Morde des NSU und des bisherigen Ergebnisses der noch andauernden Überprüfung von Altfällen auf etwaige rechtsextreme Hintergründe gibt es bislang nach Erkenntnissen des Bundesinnenministeriums 60 Todesopfer rechter Gewalt seit dem Jahr 1990. Zivile Organisationen zählen  zwischenzeitlich aber bis zu 180 Opfer durch rechtsextremistische Straftaten.
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Viele europäische Staaten müssen nach Ansicht von Amnesty International (ai) ihre Anstrengungen im Kampf gegen antimuslimische Vorurteile verstärken. So werden Muslime einem Bericht zufolge in mehreren Ländern wegen religiöser Traditionen im Alltag benachteiligt. Die Menschenrechtsorganisation verweist dabei unter anderem auf nationale Gesetze oder regionale Regeln, die das Tragen eines Kopftuches verbieten. "Es gibt keinen Zweifel daran, und es ist ganz sicher auch nicht neu, dass viele Muslime diskriminiert werden", sagte John Dalhuisen, Europa- und Zentralasien-Chef von Amnesty. Der Rechtsgrundsatz, dass die Religionszugehörigkeit keine Benachteiligung verursachen dürfe, erweise sich als leider wirkungslos.

Viele Zivilorganisationen darunter die muslimischen Religionsgemeinschaften fordern deshalb endlich Straf- und Gewalttaten gegen Moscheen und muslimische Einrichtungen als eigenen Tatbestand zu erfassen und so die Statistik genauer und sachdienlicher zu führen. Leider weigern sich Bundesregierung und die Sicherheitsbehörden, solche Straftaten gesondert aufzuführen. Dadurch wird die Dimension der Islamfeindlichkeit verschleiert oder strukturell und behördlich unterschätzt. Bereits am 24.01.12 in Berlin im Rahmen eines Treffens mit Spitzenverbänden gegen Rechts und dem Bundesinnenminister und Familienministerin – Sie waren auch dabei Herr Minister -  forderten wir als ZMD, dass endlich Islamfeindlichkeit als eigenständiger Tatbestand erfasst wird und nicht mehr unter Fremdenfeindlichkeit subsumiert wird.

Meinen Damen und Herren, verehrter Herr Minister, mittlerweile dürfte anhand der Ermittlungsergebnisse, besonders der Pannen und Fehler – insbesondere auch die Rolle der V-Leute -  zum Nationalsozialistischen Untergrund und deren Dunstkreis offensichtlich sein, dass der Rechtsextremismus in Deutschland bislang unterschätzt wurde.
Zur Erinnerung: Andres Breivik hat sich weitestgehend durch islamfeindliches Material und Propaganda im Internet verleiten und verführen lassen, darunter auch durch einschlägig bekannte rechtsradikale Seiten und Pamphlete von bekannten Islamhasser-Persönlichkeiten aus Deutschland. Bisher werden diese nur vage vom Verfassungsschutz erfasst, obgleich zwischenzeitlich auch Deutschland schreckliche rechtsterroristische Anschläge vermelden musste. Und zur Erinnerung: Der Generalbundesanwalt kategorisiert den NSU-Terror als "den 11.September Deutschlands".

Wir fragen uns angesichts der erdrückenden Zahlen über die jahrelang bekannten Gefahr von Rechts, warum diese nicht als solche erkannt wurde nicht selten sogar klein geredet wurde und die Gefahren des religiösen Extremismus, welcher nicht annähernd in Deutschland das Ausmaß und Niveau des Rechtsradikalismus- und Terrors hat, zuweilen aufgebläht wird? Nicht nur als muslimische Bürger fragen wir uns zudem, welche Rolle haben hierbei Sicherheitsbehörden über ihre V-Leute gespielt und sind unserer Steuergelder hierfür sinnvoll eingesetzt worden? Diese Frage stellen wir uns als Muslime auch Bezug auf V-Leute im religiös-extremistischen Umfeld. Werden etwa da auch Strukturen unterstützt, anstatt sie zu bekämpfen und zu beseitigen?

Wenn man den Anspruch hat, die Muslime für eine Partnerschaft zu gewinnen, sollte erstens gegenseitiges Vertrauen und Respekt die Grundlage der Zusammenarbeit sein. Erfolg hat die Sache nur, wenn zweitens alle Muslime mitgenommen werden, wenn drittens der erkennbare Duktus und die Stoßrichtung der Veranstaltung ist: es geht um alle Formen des Extremismus und nicht nur eine im Besonderen – zumal wir Leittragende aller Formen des Extremismus ja auch tatsächlich sind und viertens sollte endlich der Islamismusbegriff auf den Prüfstand, denn immer noch verwenden Sicherheitsbehörden und Muslime diesen Begriff in ganz unterschiedlicher Weise, was zu Missverständnissen führt.

Meine Damen und Herren, Muslime leiden verstärkt unter der verzerrte und falschen Darstellung ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und unter der Wahrnehmung, alles islamische sei im Kontext der Gewalt zu erklären. Vorangegangene Erkenntnisse über die  Einstellungen der Muslime – hier exemplarisch die weltweiten Gallup-Umfragen oder das Religionsmonitoring der Bertelsmann-Stiftung –werden dabei immer wieder übersehen. Diese Umfragen unter Muslimen zeigen, dass Muslime, die ihre eigene Religion gut kennen und sie selbstverständlich praktizieren,  toleranter und offener zu Nichtmuslimen sind.
Deswegen sage ich ganz deutlich: Das beste Programm sich vor muslimischen Fanatikern zu schützen wäre, die Muslime hierzulande anzuerkennen mit ihren Pflichten und Rechten und sie strukturell gleichberechtigt mit den Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen.

Übertragen auf das Thema heute heißt das konkret: Anstatt die muslimischen Religionsgemeinschaften(die im KRM zusammengeschlossen sind: Islamrat, VIKZ, DITIB und ZMD) oder die Landesverbände  – wie nicht selten passiert – zu marginalisieren, gilt es ihr Angebot zunutzen und deren bereits vorhandenen Präventionsarbeit nachhaltig zu unterstützen. Denn wir haben in Deutschland kein Islamproblem, sondern ein Extremismusproblem und Rassismusproblem. Von den Moscheen der eben genannten Religionsgemeinschaften, die die überwältigende Mehrheit der Gemeinden in Deutschland umfassen, geht und ging keine Gefahr oder Gewalt aus!

Ohnehin handelt es sich bei den radikalisierten Muslimen – ohne es zu bagatellisieren zu wollen – um eine verschwindende Minderheit, insbesondere auch was die Anzahl ihrer Gemeinden angeht. Fernab von Scheinwerferlicht leisten seit Jahrzehnten der Großteil der über 2000 Moscheen (die im KRM vertreten sind) und Gemeinden religiöse Dienstleistungen und seelsorgerische Arbeiten, von denen der Großteil der Muslime in Deutschland profitieren und von denen stets zu Mäßigung aufgerufen wird und Integrationsleistungen ausgehen.

Hier sind Zivilgesellschaft und Staat gefordert, Bildungsprogramme und anderes mehr auf dem Weg zu bringen, um diese Arbeit nachhaltig zu unterstützen. Ohnehin gilt es beim Thema Islam in Zukunft den viel zu starken Focus auf Sicherheitspolitik zu reduzieren und stattdessen die Integration und Partizipation des Islam und der Muslime in Staat und Gesellschaft viel mehr in den Mittelpunkt politischer Entscheidungsprozesse zu setzen. Das ist die nachhaltigste und beste Form der Prävention gegen Extremismus.



Deswegen mussten Sikh Anhänger in den USA sterben: Rassist fiel auf antimuslimische Karikatur herein und verübte Terroranschlag.