28.03.12 Rede des ZMD-Vorsitzenden Aiman Mazyek auf dem Symposium des Bundesinnenministeriums "Inspire, YouTube & Co." im Wortlaut
Vollständige Rede (es gilt das gesprochenen Wort):
Sehr geehrter Herr Bundesminister, sehr geehrte Damen und Herren. Im November 2011 haben Sie, Herr Minister Dr. Friedrich, uns als muslimische Religionsgemeinschaften eingeladen, um uns über den Stand des NSU-Terrors zu unterrichten. Dafür danken wir Ihnen an dieser Stelle noch einmal. Zudem warben Sie für die neue Sicherheitspartnerschaft mit den Muslimen, was wir ebenfalls grundsätzlich begrüßten. Dieser Einladung sind wir gefolgt, da wir als Bürger dieses Landes an dessen Sicherheit ein existentielles Interesse haben und es als unsere staatsbürgerliche und muslimische Pflicht ansehen, uns dafür einzusetzen.
Schon früh hat der ZMD auch vor dem Missbrauch der Religion durch Extremisten thematisiert. Bereits 2006 haben wir eine Studie über gefährliche Internetseiten veröffentlicht, wo versucht wurde über Themen wie dem Irakkrieg oder Nahostkonflikt gewaltbereite Muslime zu rekrutieren. 2008 haben wir – nur als ein Bespiel von vielen – theologisch und fundiert eine im ganzen Bundesgebiet verbreitete Hassmail (Azam-Mail), theologisch fundiert zurückgewiesen. Diese Handreichung hat bis heute einen großen Verbreitungsgrad. Der ZMD organsiert seit Jahren Schulungen für Imame und Vorstände, um sie für diese Herausforderungen zu sensibilisieren so die Gemeinden fit zu machen sich dieser zu erwehren. An dieser Stelle sei auch angemerkt, dass Muslime selber ein existentielles Interesse haben gegen Extremismus vorzugehen, nicht zuletzt deswegen, weil die meisten Opfer von Terroranschlägen schließlich Muslime selber sind.
Mittlerweile dürfte zudem anhand der Ermittlungsergebnisse zum Nationalsozialistischen Untergrund und deren Dunstkreis offensichtlich sein, dass der Rechtsextremismus in Deutschland bislang unterschätzt wurde. Das Ministerium hat letztlich die Lage erkannt und widmet sich nun mehr diesem Phänomen. Erst jüngst hat der Generalbundesanwalt deutlich gesagt, dass die NSU-Terrorserien der „11. September Deutschlands“ ist.
Zurück zum Treffen im November letzen Jahres mit Ihnen, Herr Minister. Die Themen, die dort angesprochen wurden, haben uns darin bestärkt, dass Extremismusbekämpfung nur in eine Richtung, nämlich der Muslime, nicht der richtige Weg ist. Alle dort anwesenden islamischen Religionsgemeinschaften, allen voran VIKZ; DITIB und ZMD, haben dabei unmissverständlich ihre Absicht bekräftigt die Sicherheitspartnerschaft als eine Plattform zu begreifen, die gegen jegliche Form und Spektren des Extremismus vorgeht. Umso enttäuschter sind wir nun, dass nur einseitig ausschließlich der muslimische Extremismus Gegenstand zumindest der derzeitigen Internetpräsenz ist. Zudem gilt im Vorfeld zu klären: Wie sieht eigentlich die Partnerschaft konkret aus? Welche Strategie wird dabei verfolgt. Fragen, die weiterhin noch im Raum stehen.
Wir sehen in dem Entstehungsprozess und in den Inhalten Ihrer Internetpräsenz grundlegende Probleme: Erstens gebührt es einer fairen Partnerschaft, dass die Inhalte im Vorfeld zumindest grob abgestimmt werden. Und zweitens wird (wieder) ein Islamismusbegriff angeführt, der weder mit uns abgestimmt ist, noch auf unsere Zustimmung stößt und nach unserem Dafürhalten keine sachliche und fachliche Definition enthält, um das Phänomen des religiösen Extremismus begreifbar zu machen. Unsere Vorbehalte dürften Ihnen aus diversen Diskussionen in der DIK oder in den Gesprächen mit den Sicherheitsorganen (BKA und BfV) seit langem bekannt sein.
Wenn das Innenministerium den Anspruch hat, die Muslime für eine Sicherheitspartnerschaft zu gewinnen, sollte 1. gegenseitiges Vertrauen und Respekt die Grundlage der Zusammenarbeit sein. Erfolg hat die Sache nur, wenn 2. alle Muslime mitgenommen werden, wenn 3. der sofort erkennbare Duktus und die Stoßrichtung der Veranstaltung ist: es geht um alle Formen des Extremismus.
Meine Damen und Herren, Muslime leiden verstärkt unter der verzerrte und falschen Darstellung ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und unter der Wahrnehmung, alles islamische sei im Kontext der Gewalt zu erklären. Vorangegangene Erkenntnisse über die Einstellungen der Muslime – hier exemplarisch die weltweiten Gallup-Umfragen oder das Religionsmonitoring der Bertelsmann-Stitung –werden dabei immer wieder übersehen. Diese Umfragen unter Muslimen zeigen, dass Muslime, die ihre eigene Religion gut kennen und sie selbstverständlich praktizieren, toleranter und offener zu Nichtmuslimen sind.
Deswegen sage ich ganz deutlich: Das beste Programm sich vor muslimischen Fanatikern zu schützen wäre, die Muslime hierzulande anzuerkennen mit ihren Pflichten und Rechten und sie strukturell gleichberechtigt mit den Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen. Dies sollte nach unserem Dafürhalten auch im Hinblick der Deutschen Islamkonferenz und anderen Veranstaltungen die originären Aufgaben unseres Bundesinnenministers beschreiben. Und übertragen auf das Thema heute „Radikalisierung im Internet“ heißt das konkret: Anstatt die großen Verbände (die im KRM zusammengeschlossen sind) wie der Islamrat, VIKZ, DITIB und ZMD – wie nicht selten passiert – zu marginalisieren, gilt es ihr breites Netzangebot auszunutzen und deren Internetarbeit nachhaltig zu unterstützen.
Denn wir haben in Deutschland kein Islamproblem, sondern ein Extremismusproblem und Rassismusproblem. Und von den Moscheen der eben genannten vier Religionsgemeinschaften, die die überwältigende Mehrheit der Gemeinden in Deutschland umfassen, geht und ging keine Gefahr oder Gewalt aus!
Ohnehin handelt es sich bei den radikalisierten Muslimen – ohne es zu bagatellisieren zu wollen – um eine verschwindende Minderheit, insbesondere auch was die Anzahl ihrer Gemeinden angeht. Fernab von Scheinwerferlicht leisten seit Jahrzehnten der Großteil der über 2000 Moscheen (die im KRM vertreten sind) und Gemeinden religiöse Dienstleistungen und seelsorgerische Arbeiten, von denen der Großteil der Muslime in Deutschland profitieren und von denen stets zu Mäßigung und Integrationsleistungen ausgehen.
Hier sind Zivilgesellschaft und Staat gefordert, mit Bildungsprogramme und anderes mehr auf dem Weg zu bringen, um diese Arbeit nachhaltig zu unterstützen. Ohnehin gilt es beim Thema Islam in Zukunft den viel zu starken Focus auf Sicherheitspolitik zu reduzieren und stattdessen die Integration und Partizipation des Islam und der Muslime in Staat und Gesellschaft viel mehr in den Mittelpunkt politischer Entscheidungsprozesse zu setzen. Das ist die nachhaltigste und beste Form der Prävention gegen Extremismus.