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Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V.


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Mittwoch, 07.09.2011

06.09.11 Zentralratsvorsitzender Aiman Mazyek zum 11. September im Gespräch mit der Katholischen Nachrichtenagentur: "Muslime haben weltweit gezeigt, dass sie sich nicht vom El-Kaida-Virus infizieren ließen



KNA: Herr Mazyek, wie haben Sie den 11. September 2001 erlebt?

Mazyek: Ich arbeitete gerade zuhause im Büro, als mich plötzlich meine Frau rief und im Fernsehen ein versteinerter Uli Wickert fassungslos die Bilder der brennenden Türme kommentierte. Ich war wie erschlagen. Schnell kamen dann die Hinweise auf El Kaida und mir war sofort klar: Dieser Tag ist ein epochaler Einschnitt im Zusammenleben von Muslimen und Nichtmuslimen, er wirft unseren Dialog um Jahre zurück. Schon vor dem 11. September wurden ja Islam und Gewalt in der öffentlichen Debatte oft gleichgesetzt. Ich wusste, dieser Trend würde nun gewaltigen Auftrieb bekommen.

KNA: Es gab Vorwürfe, Islamvertreter hätten sich danach zu wenig vom Terrorismus distanziert.

Mazyek: Wer das behauptet, ist schlecht informiert oder ignoriert die Tatsachen. Die Islamverbände in Deutschland und Gelehrtenräte von Rabat über Mekka bis nach Kuala Lumpur haben Terror als Mord etliche Male scharf verurteilt. Nach den Anschlägen in Madrid und London beispielsweise haben tausende Muslime gegen das Töten demonstriert. Die Muslime in Deutschland zeigen jeden Tag, dass sie hier friedlich leben wollen und mit Extremismus nichts am Hut haben. Wie viel Distanzierung braucht es denn noch? Das Problem ist, dass im Westen oft zu wenig zwischen legitimen Forderungen der großen Mehrheit der Muslime nach Gerechtigkeit und Demokratie in der muslimischen Welt und den Mörderbanden, die sich diese Forderungen zu eigen machen, unterschieden wird. Diese Gruppen nutzen aber unislamische Mittel, nämlich Gewalt gegen Zivilisten. Mit der Folge übrigens, dass weltweit die meisten Toten von Terroranschlägen Muslime selber sind.

KNA: Am 11. September ging es den Tätern aber nicht um Demokratieforderungen, sondern um machtpolitische Veränderungen.

Mazyek: Auch die Kritik an westlicher Unterstützung für Despoten in der islamischen Welt oder am stillen Wegschauen angesichts der israelischen Besatzungs- und Siedlungspolitik ist berechtigt. Diese Zustände lassen den Nährboden für den Terrorismus nicht austrocknen. Die friedlichen Revolutionen in der arabischen Welt haben aber gezeigt, dass sich die Muslime nicht vom El-Kaida-Virus infizieren ließen. Der von der Bush-Regierung unterschwellig erhobene Generalverdacht, dass Islam und westliche freiheitliche Werte unvereinbar seien, hat sich spätestens damit als absurd erwiesen. Es gibt keinen „Kampf der Kulturen“, nur einen Kampf menschenverachtender, weltverneinender Ideologen, von dem wir uns auch als Muslime immer wieder lossagen müssen.

KNA: Aber hat sich die globale Kluft zwischen Islam und dem Westen nach dem 11. nicht immens vertieft?

Mazyek: Neben der Diskreditierung des Islam durch muslimische Terroristen hat der Westen viel Kredit verspielt, weil seine Reaktion ein völkerrechtswidriger, auf Basis unbewiesener Behauptungen begonnener Krieg im Irak und die Invasion in Afghanistan war, die vor allem viele unschuldige Zivilisten das Leben kosteten. Den Terror kann man damit nicht austrocknen, das haben wir schon damals gesagt. Die Taliban sind immer noch da, ebenso tausende Kriegskrüppel, Witwen, väterlose Kinder. Und der Irak ist innerlich so zerrissen wie nie zuvor. Verschwörungstheorien zum Hintergrund der Anschläge sind unter Muslimen weit verbreitet.Die Stigmatisierung des Islam als potenzielle Gewaltreligion durch Teile der Bush-Administration wurde aber eher als Mittel der Machtpolitik wahrgenommen, nicht als Kulturkampf.

Die meisten Toten und Opfer der Terroranschläge weltweit sind Muslime selber

KNA: Angesichts von Koranversen, die den Kampf gegen Andersgläubige legitimieren, durfte man nach dem 11. September allerdings eine intensive innerislamische Debatte zum Verhältnis von Religion und Gewalt erwarten.

Mazyek: Der Islam erlaubt im Ausnahmefall, wenn Vernichtung von Mensch und Leben droht, die Verteidigung auch mit Gewalt. Dabei ist es unerheblich, welche Religion die jeweilige Seite hat. Konkret:
Die Intervention in Libyen war richtig, weil ein Völkermord in Bengasi drohte und damit vermieden werden konnte. Dabei gab es hüben wie drüben Muslime, Christen und Andersgläubige.

KNA: Blicken wir nach Deutschland. Was bewirkte hier der 11. September für die Stellung des Islam?

Mazyek: Vor allem, dass die Berichterstattung darüber unglaublich angewachsen ist. Kein anderes Thema hat seitdem eine derartige Dauerpräsenz in den Medien - teilweise aber demagogisch fehlerhaft und von Vorurteilen nur so triefend, dass ich manchmal schon Angst vor meiner eigenen Religion bekomme.

KNA: Immerhin gab es auch in Deutschland versuchte Sprengstoffattentate von Islamisten.

Mazyek: Gegen solche Gewalttäter muss der Staat mit allen legalen Mitteln vorgehen. Die Frage, wie man die Integration von vier Millionen Muslimen voranbringt, hat damit wenig zu tun. Sie darf nicht von einer Sicherheitshysterie erstickt werden wie den Alarmmeldungen der Behörden im vergangenen November aufgrund vager Anschlagshinweise. Das begünstigt ein Klima, in dem der Islam bis in die Mitte der Gesellschaft hinein zum Feindbild wird und das am rechten Rand schlimmstenfalls zu Morden wie an der Ägypterin Al-Sherbini in Dresden oder zu Brandanschlägen auf Moscheen führt.

KNA: Die Bundesregierung hat aber als Reaktion auf den 11. September mit der Deutschen Islam Konferenz auch ein Dialoggremium auf höchster Ebene geschaffen. Vor allem, um mit den Verbänden ins Gespräch zu kommen, deren konservatives Islamverständnis in der Bevölkerung Ängste auslöst. Der Zentralrat nimmt an der Konferenz nicht mehr teil. Vergeben Sie damit nicht eine Chance?

Mazyek: Uns ging es auch in der Islamkonferenz zu sehr um Sicherheitsaspekte und zu wenig um praktische Integration. Das Gremium tritt auf der Stelle, weil es sich der Frage nach Gleichstellung des Islam entzieht. Bei der Terrorabwehr kooperiert der Staat mit den von Ihnen als konservativ bezeichneten Verbänden.
Sobald sie aber Forderungen nach Gleichberechtigung als Religionsgemeinschaft stellen, werden sie gemieden, mit der fadenscheinigen Begründung, dass sie angeblich nur einen orthodoxen Teil der Muslime vertreten. Der Staat darf sich seine Dialogpartner nicht beliebig aussuchen, er ist nach unserer Verfassung zur Neutralität verpflichtet.

Das Interview führte Christoph Schmidt.


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