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Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V.

Mittwoch, 26.11.2008


26.11.08 Einigkeit und Recht und Freiheit - diese Worte haben besonders für uns Muslime eine existenzielle Bedeutung – Rede des Zentralratsvorsitzenden Dr. Ayyub Axel Köhler



Die Einheit unseres Landes hat Prozesscharakter und wir werden immer wieder vor neue Aufgaben gestellt. Einheit im Sinne des Zusammenhalts unserer Nation, der gemeinsamen Verantwortung und des gemeinsamen Strebens ist eine ständige Aufgabe – auch für die Muslime.
Vor zwölf Jahren hatte der Zentralrat der Muslime (ZMD) den Tag der Deutschen Einheit mit einem Tag der Offenen Moschee verbunden. Die Absicht war, zu zeigen, dass auch die Muslime zur Einheit Deutschlands gehören. Sie können sich also vorstellen, wie wohltuend die Erklärung des Bundesinnenminister Schäuble auf uns wirkte, mit der er die Muslime als einen Teil der deutschen Gesellschaft bezeichnete.

Am Tag der Offenen Moschee öffnen wir unsere Moscheen (eigentlich an jedem Tag) um den Tag der Deutschen Einheit mit der ganzen Bevölkerung zu feiern und unsere Verbundenheit mit unserem Land zum Ausdruck zu bringen. Dabei wollen wir auch Transparenz zeigen. Es soll jedermann wissen, was in den Moscheen vor sich geht. Der Islam und seine Praxis sind kein Geheimnis.
Auch die Strukturen des organisierten Islam sind transparent.

In Deutschland leben ca. 3,3 Millionen Muslime. Das ist über das Bundesgebiet verteilt also wenig. In den Ballungsgebieten sieht das anders aus. In Köln beträgt der Anteil der Muslime 10 Prozent an der Wohnbevölkerung. In den industriellen Ballungsgebieten gibt es Schulen, an denen über die Hälfte der Schüler Ausländer sind, von denen wieder die Muslime den größten Anteil stellen. Heute leben diese Muslime schon in der zweiten und dritten Generation in Deutschland. Fakt ist: Der Islam und die Muslime sind Teil Deutschlands geworden.

Anfangs bildeten sich aus Bürgerinitiativen von Muslimen kleine Gemeinden, die in Hinterhöfen und ehemaligen Werkshallen kleine Gebetsräumlichkeiten, die sog. Hinterhofmoscheen, einrichteten. Diese Moscheegemeinden haben sich in zu Verbänden zusammengeschlossen, die wieder in vier großen Dachverbänden zusammengehalten werden. Das Problem war nun, dass diese Dachverbände einzeln nicht als ein einheitlicher Ansprechpartner von der Politik und der Gesellschaft angenommen wurden. Das hat sich heute wesentlich geändert. Im Frühjahr 2007 haben sich die vier großen Dachverbände im Kooperationsrat der Muslime (KRM) zusammengefunden.

Der Kooperationsrat der Muslime (KRM) besteht aus den vier großen islamischen Dachverbänden:
- DITIB (Diyanet İşleri Türk İslam Birliği),
- ISLAMRAT,
- VIKZ (Verband der Islamischen Kulturzentren) und
- dem ZMD (Zentralrat der Muslime in Deutschland), dessen Vorsitzender ich bin. Wir sind multiethnisch zusammengesetzt und unabhängig vom Ausland und jedweder ideologischen Strömung.

Die Zusammensetzung des KRM spiegelt die ethnische Herkunft der Muslime in Deutschland wieder: zu etwa 75 Prozent Türken und etwa 25% Arabern, Iranern, Pakistaner, Albaner, Bosnier, Kosovare.
Gefragt nach der Anzahl der deutschstämmigen Muslimen kann nur mit groben Schätzungen geantwortet werden und die liegen zwischen 100 000 und 200 000.
Der KRM repräsentiert ca. 80-85 Prozent der Moscheegemeinden in Deutschland. Der KRM ist somit der repräsentative, zentrale Ansprechpartner für die Politik und die Gesellschaft.
Zur europaweiten Entwicklung ist festzustellen, dass die Strukturen einer europaweiten Vertretung bzw. Vertretungen noch lange nicht abgeschlossen sind. Was Deutschland anbetrifft, so können wir sehr glücklich sein, dass die Muslime im KRM wieder mit einer Stimme sprechen. Um diese Einheit der Muslime werden wir im europäischen Ausland beneidet.

Jetzt gilt es, in den einzelnen Bundesländern die gleichen Strukturen zu errichten. Das ist insofern der entscheidende Schritt in Richtung Einheit der Muslime, weil die Kulturhoheit und die Religionsangelegenheiten in der Kompetenz der Länder liegen. Alle konkreten politischen Entscheidungen werden in den einzelnen Bundesländern gefällt. Beispiel ist auch hier der IRU. Es müssen nun Landesverbände der Muslime gegründet werden, die wiederum mit dem Bundesverband des jetzigen KRM zusammenhängen. Wie das aussehen und funktionieren soll, ist Gegenstand der derzeitigen Verhandlungen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bitte noch etwas über die Arbeit der Dachverbände und des KRM auf den Gebieten, die keine einzelne Gemeinde alleine zu leisten imstande ist und der Grund dafür ist, dass sich die Gemeinden und Verbände zusammengeschlossen haben, sagen.
Es gibt sehr viel zu tun: ich nenne einmal einige Schwerpunkte:
- der Islamische Religionsunterricht an öffentlichen Schulen,
- die Halal-Schlachtung,
- Schulische Organisationspunkte (Schwimm- und Sportunterricht, Sexualkunde, das Thema Islam in Schulbüchern z.B. in Geschichtsbüchern),
- Bekleidung (z. B. „Kopftuch“)
- Gebet am Arbeitsplatz
- der Dialog und
- die Integration des Islam und der Muslime in das deutsche Religionsverfassungsrecht (Staatskirchenrecht). Wir sind zwar alle und faktisch Religionsgemeinschaften – aber nicht der gegenwärtigen Interpretation des Gesetzes nach. Das muss staatsrechtlich gelöst werden, sonst gibt es keinen Fortschritt in der Integration des Islam und der Muslime.
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An dieser Stelle muss ich betonen, dass die Muslime vom deutschen Staat nicht mehr und auch nicht weniger verlangen, als uns die Deutsche Verfassung erlaubt. Wir wollen nur Normalität.
Und auch das sei angemerkt: Zur Erfüllung unserer Aufgaben ist unsere Personaldecke zu klein und unsere finanziellen Mittel zu knapp bemessen. Schließlich sind wir, insbesondere der ZMD, auf unsere Mitgliederbeiträge und Spenden angewiesen.

Meine Damen und Herren, Sie wissen ja, dass gerade der Monat Ramadan zu Ende gegangen ist und wir jetzt noch das Fest dazu feiern. In diesem Jahr kommt nun auch noch der Tag der Deutschen Einheit hinzu, so dass ich aus dem Feiern gar nicht mehr herauskomme.
Ich bin in der letzten Woche erst aus Medina zurückgekehrt, wo ich die Gelegenheit hatte, unter den Muslimen aus aller Welt und in der Großen Moschee mit dem Grab unseres Propheten Muhammad (a.s.) im Gebet Ramadan begehen konnte in einer Stimmung, wie wir sie in dieser Intensität und Festlichkeit nur in einer großen islamischen Gemeinschaft erleben können. Wo sonst als in Mekka und Medina kann man so wohltuend den Ramadan als die intensivste Zeit der inneren Einkehr, der gelebten Brüderlichkeit, der Solidarität, des Verzeihens, der Nähe und Liebe zu Gott und des Friedens unter den Menschen erfahren, wie unter den Pilgern aus aller Herren Länder und in Ländern, die insgesamt auf den Ramadan eingestellt sind.
Abends im Hotel schalte ich dann die Fernsehnachrichten an und dann der Schock: das Attentat in Islamabad und das in hellen Flammen stehende Hotel. Soll das auch Islam sein? In welcher Welt und in was für einem Ramadan leben diese Attentäter? Wer es auch gewesen sein mag, das alles hat nichts mit Islam zu tun. Dort wurde wieder einmal gegen alle Regeln des Islam verstoßen. Wir beklagen nun die Opfer, die wie immer zum großen Teil Muslime waren.
Was bezweckt Terrorismus? Was haben die Terroristen den Muslimen und der Welt als Zukunft anzubieten? Wollen sie das Chaos und die Zerstörung, auf denen sie eine neue Ordnung errichten wollen? Fragen Sie einmal die Protagonisten des Terrors, wie das Neue denn aussehen soll. Sie werden keine präzise Antwort, dafür aber leere Phrasen hören, wie, „der Islam ist die Lösung“, so als ob jemand einen Schalter „Islam“ umlegt und dann geht das Licht an.
Wir Muslime sind keine Chaoten. Wir selber haben Angst vor dem zerstörerischen Hass dieser, in Anführungsstrichen, „Gotteskämpfer“. Darum geht unser Apell an die Mehrheitsgesellschaft: wir sitzen zusammen in einem Boot, lasst uns gemeinsam gegen den Terror einschreiten. Nicht der Islam ist das Problem. Der Islam ist Teil der Lösung.
Im Falle des sog. islamischen Extremismus ist in großem Maße das Fehlen korrekter islamischer Bildung verantwortlich.

Wir müssen die Gelegenheit haben, den Muslimen flächendeckend eine korrekte islamische Bildung angedeihen zu lassen. Deswegen: Unterstützen Sie einen ordentlichen islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, der genauso, wie bei den anderen Religionsgemeinschaften, zusammen mit den kompetenten und legitimierten islamischen Gemeinschaften erteilt werden soll. Deutschland hat dafür im KRM einen solchen Partner. Wir können nicht noch weitere Generationen von Muslimen ohne eine korrekte islamische Ausbildung in die Gesellschaft entlassen, die ohne eine Ahnung vom Islam zu haben, leicht die Beute von Demagogen werden können.

Wir hören immer wieder, dass sich sogar in Deutschland Jugendliche über das Internet für den Terror anwerben lassen oder Sympathisanten von Externisten werden. Eine Ursachenforschung fehlt offensichtlich – jedenfalls hört man davon nicht, und es wird auch nicht darüber diskutiert. Warum sind es gerade Jugendliche, die von Hassbotschaften angezogen und motiviert werden? Was ist der Grund für den Hass dieser jungen Menschen? Eine Ursachenforschung fehlt offensichtlich – jedenfalls hört man davon nicht, und es wird auch nicht darüber diskutiert.
Was können Sie, meine Damen und Herren, tun gegen den Hass der Terroristen?
- Setzen Sie sich bei Ihren Politikern für eine gerechte Islampolitik in Deutschland ein und
- für einen politischen Dialog auf gleicher Augenhöhe. Setzen Sie sich ein
- gegen Diskriminierungen und Demütigungen.
- Sorgen Sie, wo immer Sie stehen, jeder an seinem Platz, für Gerechtigkeit in der Welt! Wir Bürger können viel mehr tun als wir denken.
- Arbeiten wir gemeinsam für den Frieden in der Welt! Aber der Verlust bürgerlicher Freiheiten darf nicht der Preis für Sicherheit sein! Der Dialog auf allen Ebenen ist dazu das Mittel der Wahl.
Wir stehen seit Jahrzehnten im jüdisch-christlich-islamischen Dialog. Dabei haben wir manchmal das Gefühl, dass es damit nicht weiter geht. Aber wir haben Geduld und sind dabei der festen Überzeugung, dass die Zukunft des Dialogs nur im Trialog, zusammen mit den Juden liegt liegen kann. Wir großen Religionsgemeinschaften haben so viele gemeinsame Aufgaben in der Gesellschaft zu lösen, dass wir den Trialog zu einem Trialog der Tat entwickeln lassen sollten. Im gemeinsamen Tun
gegen die Gewalt in Familien,
gegen die Jugendgewalt,
gegen den Kindesmissbrauch,
gegen den Antisemitismus (der übrigens in der islamischen Lehre nicht vorkommt),
gegen die Islamphobie,
gegen die Armut und
den Zerfall der Familien sollten wir uns bewähren.
Wir Religionsgemeinschaften sollten in Deutschland ein gutes Beispiel für die Welt abgeben und zeigen, dass die Religionen nicht Grund und Ursache von Kriegen sind. Darauf sollten wir alle hinarbeiten. Schützenhilfe haben wir dabei erst kürzlich von den großen internationalen und interreligiösen Dialogkonferenzen in Madrid bekommen (der ZMD war an beiden Veranstaltungen beteiligt), wo nun von muslimischer Seite aus der Trialog überzeugend einen entscheidenden Impuls bekommen hat. Schön wäre es, wenn wir in Deutschland ein gutes Beispiel für die Welt geben könnten, wie die Religionen friedlich und konstruktiv für das Gemeinwesen zusammenleben.

Auch im Dialog mit der Politik sind wir selbstverständlich engagiert. Die Deutsche Islamkonferenz (DIK) ist auf diesem Gebiet das wichtigste Feld des politischen Dialogs auf Bundesebene, der unter Federführung des Bundesinnenministeriums zustande gekommen ist. Viele Hoffnungen haben sich für uns noch nicht erfüllt, viele Enttäuschungen haben auf beiden Seiten zur Ernüchterung geführt. Dennoch gibt es zur DIK keine Alternative. Die DIK ist Teil eines politischen Erfahrungs- und Lernprozesses. Beide Seiten müssen viel Geduld aufbringen. Das gilt übrigens auch für den Dialog mit den Sicherheitsorganen.
Das Gebiet der Sicherheit hatte noch mein Vorgänger im Amt ins Auge gefasst und den Dialog mit dem BKA und dem Verfassungsschutz begonnen. Schon aus eigenem Sicherheitsinteresse war dieser Kontakt notwendig geworden. Indem wir nun miteinander sprechen, sind wir gemeinsam zu vertrauensbildenden Maßnahmen als ersten Schritt zu Gemeinsamkeiten in der Sicherheitspolitik gekommen.
Es gibt aber durchaus ernst zu nehmende Stimmen in muslimischen Kreisen, die diesem Vorhaben kritisch gegenüber stehen. Ich sehe aber in jedem Dialog das Mittel der Wahl, um Probleme zu lösen. Es kommt nun darauf an, dass wir auf gleicher Augenhöhe unsere Anliegen und Ansichten bei diesem Dialog mit den Sicherheitskräften einbringen.

Unterdessen ist dieser Dialog auch auf Länderebene auf gemeinsamen Veranstaltungen mit den islamischen Verbänden und den Moscheegemeinden angelangt. Ich kann nur empfehlen, sich an solchen Veranstaltungen zu beteiligen und mitzuwirken und einzuwirken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bevor ich hier über unsere optimistischen Perspektiven spreche, möchte ich zeigen, dass ich nicht so blauäugig bin, wie ich aussehe.
Wir existieren in Deutschland in einem nicht gerade freundlichen Umfeld. Die Meinungsumfragen sind für uns verheerend:
Das Allensbach Institut stellt in seiner Umfrage fest, dass sich die Vorstellungen der Deutschen über den Islam „spürbar“ verdüstern. Diese Meinungen haben sich in den letzten Jahren sogar noch verschlechtert. 91 Prozent der Befragten sagten im Mai 2006, sie dächten bei dem Stichwort Islam an die Benachteiligung von Frauen. Die Aussage,
- der Islam sei von Fanatismus geprägt, teilen jetzt 83 Prozent der Bevölkerung,
- der Islam sei rückwärtsgewandt, sagen heute 62,
- er sei intolerant, meinen 71,
- der Islam sei undemokratisch, hat in den vergangenen zwei Jahren von 52 auf 60 Prozent zugenommen.
- Die Eigenschaft Friedfertigkeit bescheinigen dem Islam gerade 8 Prozent der Deutschen“.
Auf die Diskriminierungen, unter denen Muslime zu leiden haben, braucht hier nicht näher eingegangen zu werden. Ausführlich sind sie in den EU-Berichten und anderen Studien beschrieben worden. Hervorzuheben ist, dass insbesondere die muslimischen Frauen, die sich islamisch bekleiden und ein Kopftuch tragen, von den Diskriminierungen am meisten betroffen sind.
Ohne ein Klagelied zu singen, möchte ich Ihnen doch einige Problemfelder beispielhaft nennen:
Der Generalverdacht, dass die Muslime in Deutschland als Teil einer „islamisch-terroristischen Weltverschwörung“ eine Gefahr für Deutschland darstellen, besteht also weiterhin, obwohl von den muslimischen Gemeinden in Deutschland nie eine Gefahr ausgegangen ist.
In diesem Zusammenhang soll auch die weit verbreitete Praxis der Abwertung der islamischen Kultur, der muslimischen Familien, der islamischen Lebensweise und Glaubensvorstellungen in der öffentlichen Diskussion hingewiesen werden. Sie liefert schließlich die Begründung für Benachteiligung und die Angriffe auf den Islam und die Muslime. So ist es auch nicht verwunderlich, dass radikale Kreise in Städten und Gemeinden so eine „moralische“ Begründung für die Verweigerung der Baugenehmigung für Moscheebauten in Innenstädten geliefert bekommen.

Kurz: Es steht schlecht um die Muslime in der Öffentlichkeit.
Es gibt dennoch keinen Grund zu resignieren. In den letzten Jahren beobachteten wir auch einen anderen Trend: Die Hessen-Wahl hat gezeigt, dass es auch ein anderes Deutschland gibt, das sich gegen Fremdenfeindlichkeit einiger Kreise richtet; oder dass wir Deutschen während der Fußballweltmeisterschaft das weltoffene, sympathische Deutschland vorgelebt haben; dass sich die Gerechten in Deutschland geschlossen hinter die Muslime stellten, als Rechtsradikale mit ihrem Anti-Islamkongress in Köln die vermeintliche Stimmung gegen die Muslime für ihre politischen Zwecke ausnutzen wollten. Wir bedanken uns an dieser Stelle bei den gerechten und anständigen Landsleuten für ihr nobles Verhalten.

Meine Damen und Herren, es ist ja nicht so, als ob der Islam das wichtigste Thema in Deutschland ist. Die Welt steckt wegen der Bankenkrise in den USA in tiefen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Deutschland ist davon nicht unberührt geblieben. Für uns Muslime darf diese Krise nicht Grund zu Häme oder Freude sein. Es geht jetzt nicht mehr um einen Kampf der Systeme. Es geht um das weitere Wohlergehen der Menschen in unserem Land und in der Welt. Betroffene sind doch in erster Linie die einfachen Menschen. – Nur so viel zu der Finanzkrise.
Ich lese gerade in dem Buch „Die Kultur der Freiheit“ von Udo Di Fabio, einem unserer höchsten richterlichen Repräsentanten unseres Landes. Er legt damit den Finger in die Wunde unserer Zeit, wenn er schreibt, dass die die herrschende Kultur des Westens ganz ersichtlich an immanente Grenzen gestoßen ist und erschöpft sei (Di Fabio, Seite 10).

Seine Sorge ist der Zerfall unserer Gesellschaft. Auch diese Sorge darf uns nicht unberührt lassen. Wenn es um den Zerfall der Institution Familie geht, wenn wichtige Tugenden verloren gehen, wenn es um die Frage nach dem gelungen Leben oder das Glück oder um den wachsenden Materialismus der vorherrschenden Konsumkultur geht, haben wir Muslime doch etwas mitzureden, müssen wir uns doch einmischen. Wir müssen unseren Teil dazu beitragen, dass die uns in Deutschland verbindenden Werte gestärkt werden. Wir müssen als Teil der Gesellschaft für den Zusammenhalt unseres Landes sorgen. Wo Allah uns hingestellt hat, müssen wir unser Bestes für alle geben.
Noch ein Wort zu unseren jahrelangen Anstrengungen, in unserem Land zu unserem Recht zu kommen und zur Integration: Wir haben bisher vor den höchsten Gerichten unsere Rechte erstritten (z. B. Kopftuch und die islamische Schlachtung) Diese Rechte werden nun in einzelnen Bundesländern wieder unterlaufen und wir müssen nun weiter um unsere Rechte streiten.

Das Staatliche und Rechtliche ist die eine Seite der Integration. Doch alle gesetzlichen Rechte nützen nur wenig, wenn wir nicht – ich will es mal so sagen - die Herzen der Menschen gewinnen. Blicken wir aber auf die Meinungsumfragen (siehe oben), so stehen die deprimierenden Meinungen, Verurteilungen und Vorurteile dem Islam und den Muslimen gegenüber auf unserem Weg in die deutsche Mehrheitsgesellschaft wie eine unüberwindbare Mauer im Wege. Damit müssen wir leben – Allah ändert die Situation einer Gemeinschaft nicht, bevor sie nicht das verändert haben, was in ihren Herzen ist. Wir haben selbst unsere Lage mit zu verantworten. Dazu gehört unser Verhalten unter uns und der Gesamtgesellschaft gegenüber, unser Benehmen, unsere Bildung, unsere Toleranz unter uns und anderen gegenüber, unsere Brüderlichkeit (Solidarität sagt man hier) und das Fehlen eines unbeirrbaren zivilgesellschaftliche Engagements für alle Menschen in unserem Land und in der Welt – also dort, wo Allah uns hingestellt hat. Das ist unsere islamische Pflicht. Das ist Islam als tätiges Bekenntnis. Dafür müssen wir den Islam wieder in seinem Sinn verstehen lernen. Diesen Sinn und diese Absicht müssen wir als Gemeinden und Verbände wieder unserer Basis vermitteln.
Wir müssen unsere Opferrolle ablegen und handeln. Für unseren konstruktiven Beitrag in der Gesellschaft gibt es genug Anknüpfungspunkte. Auf unser Verhalten und das zivilgesellschaftliche Engagement habe ich schon hingewiesen. Jetzt möchte ich das Geistige und Kulturelle erwähnen.

Hinweisen möchte ich zum Abschluss auf unsere gemeinsamen Werte und die abendländische bzw. deutsche Kultur, die aus den christlichen und jüdischen und auch aus islamischen Wurzeln hervorgegangen ist. Anknüpfungspunkte gibt es insbesondere an die deutsche Geisteskultur mit ihrem Reichtum an Ideen und Projekten. Es geht mir also auch um die Rezeption und Integration, die auch das Geistige erfasst und besonders dem, was unsere Nation zusammen hält.
Die Beschäftigung und Weiterführung dieser Gebiete wird auch auf die Muslime ihre Auswirkung haben, und ich verspreche mir ganz nebenbei davon auch eine Belebung des Islam selbst.
Eine Voraussetzung dafür ist aber die Freiheit der Entfaltung der Muslime und des Islam. Einigkeit und Recht und Freiheit, diese Worte haben besonders für uns Muslime eine existenzielle Bedeutung.
In diesem Sinne bitten wir Allah, unser Land und seine Menschen zu schützen und wir bitten Allah, dass er uns recht leite und uns Geduld und Ausdauer schenke, damit wir unseren Aufgaben gerecht werden.

Der Text war ursprünglich eine Rede, gehalten in der Rüsselsheimer Moschee anlässlich des Tag der Offenen Moschee und des Tages der deutschen Einheit im Oktober 2008