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Sonntag, 01.01.1995

Familienplanung und Abtreibung aus islamischer Sicht



Dr. Nadeem Elyas





I. Die Nachkommenschaft



Der Islam betrachtet die Kinder und das Vermögen als die größten Gaben Gottes und als Pracht und Schmuck des Diesseits. Im Koran gibt es viele Stellen, die den Menschen animieren, Gott um rechtschaffene Nachkommenschaft zu bitten. Erfüllen die Eltern ihre Aufgabe bei dem Großziehen und bei der guten Erziehung ihrer Kinder, so gilt das als eine der besten Taten, ja als Gottesdienst aus religiöser Sicht. Besonderen Wert legt der Islam auf die Fürsorge und Erziehung weiblicher Nachkommenschaft, im Gegensatz zur weitverbreiteten Meinung und Volkstradition bei den ungebildeten islamischen Schichten. Mohammad, der Gesandte Allahs, sagte in einem Spruch: ”Wer immer zwei Mädchen pflegt, ernährt und bestens erzieht, für den gelten sie als Schutzschild vor dem Höllenfeuer.”

Die Erhaltung der menschlichen Gattung durch die Fortpflanzung zählt zu den wichtigsten Zielen der Ehe aus islamischer Sicht. Zu den Hauptzielen zählt auch die Schaffung von Geborgenheit und Schutz sowie die Erfüllung des sexuellen Triebs in gesetzlichen und geregelten Bahnen für beide Ehepartner.





II. Familienplanung



Der Islam erlaubt die Familienplanung und die Geburtenkontrolle im individuellen Rahmen. Der Gesandte erlaubte die damals bekannte Methode der Verhütung, nämlich den Coitus interruptus. Bei der Betrachtung der zeitgenössischen Methoden können wir folgende einheitliche Aussagen differenzieren:



1. Die Verhütung durch Enthaltsamkeit nach der Temperaturmethode und durch Coitus interruptus ist erlaubt.

2. Die medikamentöse Verhütung z.B. durch Ovulationshemmern ist erlaubt.

3. Lokale mechanische bzw. chemische Mittel, die die Befruchtung verhindern,wie z.B. der Vaginalschaum, Scheidendiaphragma und Muttermundkappe, sind erlaubt.

4. Endgültige Methoden der Verhütung, wie Sterilisation, Kastration und Samenstrang

durchtrennung, sind nur bei vorliegender schwerwiegender medizinischer Indikation erlaubt.

5. Intrauterine Pessare (IUP) d.h. die Spiralen gelten nicht als allgemein erlaubt, weil sie nicht die Befruchtung, sondern die Einnistung des befruchteten Eis verhindern. Die Spirale wird von manchen islamischen Gelehrten als die frühe stille Abtreibung bezeichnet.

6. Der Islam betrachtet die Abtreibung nicht als Mittel der Familienplanung.





III. Die Abtreibung



Der Islam verbietet jeden Angriff gegen die Schwangerschaft nach erfolgter Befruchtung und betrachtet dieses als eine Sünde. Die Schwere dieser Sünde nimmt nach erfolgter Einnistung und bei zunehmendem Alter der Schwangerschaft zu. Dieser Angriff gilt aus islamischer Sicht als ein Angriff gegen das ungeborene Leben, wobei theologisch zwischen zwei Phasen unterschieden wird: ungeborenes Leben vor bzw. nach Einhauchung der Seele.

Bei schwerwiegenden medizinischen mütterlichen Indikationen erlaubt der Islam die Abtreibung ausgehend von der theologischen Regel: ” In der Notlage kann das Verbotene erlaubt werden”. Diese grundsätzlichen Aussagen werden von allen islamischen Richtungen vertreten.





IV. Das ungeborene Leben



Die Einhauchung der Seele und die verschiedenen Stadien des ungeborenen Lebens sind wichtige Merkmale, von denen manche Schulen das Verbot bzw. die Erlaubnis eines Angriffs gegen die Schwangerschaft abhängig machen.



Als Beleg für den Zeitpunkt der Einhauchung der Seele gilt der Spruch des Propheten:

”Die Schöpfung eines jeden von euch wird im Leibe seiner Mutter in vierzig Tagen als Samentropfen zusammengebracht, danach ist er ebenso lang ein Blutklumpen, danach ist er ebenso lang ein kleiner Klumpen Fleisch, dann wird zu ihm der Engel gesandt, der ihm den Lebensgeist einhaucht..”

Dieser Spruch wird in zwei Versionen ausgelegt:

1. Es handelt sich um vierzig Tage, in denen der Fötus diese Stadien bis zur Einhauchung der Seele durchläuft.

2. Es handelt sich um 3 X 40 Tage, d.h. 120 Tage bis zur Einhauchung der Seele.



Die Stadien des ungeborenen Lebens beschreibt der Gelehrte Al-Ghazali wie folgt:

”...Die Abtreibung ist ein Angriff gegen ein existierendes Lebewesen. Die Existenz hat verschiedene Stufen. Die erste ist das Eindringen des Samens in die Gebärmutter und die Vermischung mit den Absonderungen der Frau (d.i.: die Befruchtung der weiblichen Eizelle). Dann kann das Leben entstehen. Hier einzugreifen ist ein Verbrechen.

Wenn es sich weiter entwickelt und zu einem Klümpchen geworden ist wäre Abtreibung ein noch größeres Verbrechen.

Wenn es eine Seele bekommen hat und seine Schöpfung vollendet ist, wird das Verbrechen noch schwerwiegender.

Das Verbrechen erreicht das schlimmste Maß, wenn es geschieht, nachdem der Fötus sich lebend von der Mutter abgetrennt hat.”





V. Unterschiede der Rechtsschulen



Ausgehend von den verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten des o.g. Spruches des Propheten gibt es verschieden Meinungen der islamischen Rechtsschulen. Bei vorliegender medizinischer Indikation gilt jedoch bei allen Schulen das o.g. Erlaubtsein.



1. Die Hanafitische Schule (z.B. in der Türkei, im Balkan, in Afghanistan, Pakistan und Bangladesch):

Innerhalb der ersten drei Monate ist eine Abtreibung erlaubt, weil die Seele nach 120 Tagen eingehaucht wird, und weil die Gestaltung der Organe erst danach geschieht.

Beide Begründungen sind nach heutiger Kenntnis nicht haltbar. Aus diesem Grund lehnen zeitgenössische Hanafiten diese alte Lehrmeinung ab.



2. Die Schafiitische Schule (z.B. in Ägypten, Syrien und Indonesien):

Auch vor der Einhauchung der Seele bleibt die Abtreibung eine verbotene mißliche Tat. Um die Zeit der Einhauchung wird das Verbot schwerwiegender.



3. Die Malikitische Schule (z.B. in Nord- und Schwarzafrika):

Es ist nicht erlaubt die stattgefundene Befruchtung anzutasten, auch nicht innerhalb der ersten vierzig Tage. Es besteht der Konsens, daß nach der Einhauchung jede Antastung der Schwangerschaft verboten ist.



4. Die Hanbalitische Schule (z.B. in Saudi Arabien, in den Golfstaaten und in Teilen Afrikas):

Zu jedem Zeitpunkt ist die Abtreibung sündhaft und verboten.





VI. Die Instanzen



1. Im Falle einer theologischen Notlage d.h. bei medizinischen Indikationen entscheidet und haftet im religiösen, im zivil- und strafrechtlichen Sinne der Arzt. Wobei das islamische Recht die Berufung von konkreteren medizinischen Instanzstellen dazu offen läßt.

2. In den Fällen, die von manchen Schulen als erlaubt bezeichnet wurden, ist das im islamischen Familienrecht vorgeschriebene gegenseitige Einvernehmen beider Ehepartner erforderlich. Die Hanafitische Schule gibt der Frau innerhalb der ersten drei Monate das alleinige Bestimmungsrecht.





VII. Zusammenfassung



Bei Berücksichtigung der islamischen Grundsätze und neuer wissenschaftlichen Kenntnisse als Auslegungsmittel der authentischen Überlieferungen und in Anlehnung an zeitgenössische Fatwas mehrerer Gutachterräte kann ich folgendes zusammenfassen:

1. Der Islam erlaubt die zeitbegrenzte Familienplanung durch die Methoden der Ovulationshemmung und Befruchtungsverhütung.

2. Der Islam verbietet die Abtreibung nach erfolgter Befruchtung als Mittel der Familienplanung und der Geburtenkontrolle.

3. Der Islam erlaubt keine Abtreibung nach erfolgter Befruchtung und betrachtet dieses als Sünde und Angriff gegen das ungeborene Leben. Die Schwere dieses Verbots nimmt nach Ablauf der ersten vierzig Tage zu.

4. Bei vorliegender schwerwiegenden medizinischen Indikation ist die Abtreibung zu jedem Zeitpunkt erlaubt.





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