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Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V.


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Montag, 13.10.1997

Muslime als deutsche Bürger



Köln, im Dezember 1997



In seinem Heft Nr. 36/1997 veröffentlichte Der Spiegel ein Interview mit dem Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Herrn Peter Frisch, unter dem Titel

"Rechtfertigung zum Töten”

Die in Deutschland lebenden Islamisten lehnen das Grundgesetz ab. Verfassungsschutzpräsident Peter Frisch warnt vor falscher Toleranz gegenüber den Extremisten.



Dieses Interview sorgte nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen islamischen und europäischen Ländern für Mißverständnisse und Verzerrung des Bildes des Islam und der Muslime in Deutschland. Auch wenn im Interview immer die Rede von den ”Islamisten” ist, so wird der Eindruck erweckt, es handelt sich bei dem beobachteten Kreis um die Allgemeinheit der Muslime in Deutschland, weil man mit diesen ”Islamisten” allgemeingültige Glaubens- und Praxisinhalte des Islam, wie die Souveränität Gottes und die Kleidervorschriften im Islam, in Verbindung brachte, zu denen ja jeder gläubige Muslim steht.

Bedauerlicherweise nennt der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz die Zahl dieser ”Islamisten”, nämlich 30.900 Personen laut seines eigenen Berichtes, nicht und läßt auch die breite Masse der in Deutschland friedfertig und verfassungskonform lebenden 3 Millionen Muslime unerwähnt. Dies trägt zum Verzerren des Bildes bei.

Besonders auf den Standpunkt der Muslime zum Grundgesetz und die zum Frieden verpflichtenden Inhalte des Islam geht der nachfolgende verkürzte Brief des Ehren- und Beiratsmitglieds des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Dr. jur. Murad Wilfried Hofmann (deutscher Botschafter a.D.), an Herrn Peter Frisch ein.



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Als deutscher Muslim erlaube ich mir, auf Ihr Interview in Der Spiegel 36/1997 in dem Bemühen einzugehen, Mißverständnisse aufzuhellen.

Wie andere Muslime habe ich mich gefreut, daß sie dabei auf S. 61 aus dem Qur´an zitiert haben, nämlich aus Vers 216 der 2. Sure al-Baqara. Bestürzen mußte allerdings, daß weder der Wortlaut des Verses - indem von ”Ungläubigen” nicht die Rede ist - noch die daraus gezogene Schlußfolgerung dem Qur´an entsprachen.

In der Qur´an-Übersetzung des S.K.D.- Bavaria-Verlags lautet der Vers: ”Zu kämpfen ist euch vorgeschrieben und es ist euch widerwärtig. Doch es mag sein, daß euch etwas widerwärtig ist, was gut ist, und es mag sein, daß euch etwas lieb ist was schädlich für euch ist...”

Aus dieser Ablehnung der Wehrdienstverweigerung kann keineswegs eine ”Rechtfertigung zum Töten” hergeleitet werden. Es ist leicht irreführend, wenn Qur´an-Verse ohne Gesamtüberblick herangezogen werden. Dies ist leider häufig der Fall, wenn Verse, welche das ius in bello betreffen (wie in einem Krieg zu kämpfen ist) mit Versen verwechselt werden, die sich mit dem ius ad bellum befassen (unter welchen Umständen der Kampf aufzunehmen ist). Der Gesamtüberblick führt jedenfalls zu dem Ergebnis, daß der Qur´an nur militärische Verteidigung zuläßt, im Falle eines Verteidigungskriegs aber keine territoriale Begrenzung vorsieht. Dies entspricht übrigens völlig der NATO-Doktrin.

Daß ”Islamismus” als Gefahr für die Bundesrepublik verstanden wird, dürfte auf Verkennung der Tatsache beruhen, daß es sämtlichen militanten islamischen Bewegungen ausschließlich darauf ankommt, den politischen status quo in ihren Heimatsländern zu verändern. Dabei sollte ins Auge fallen, daß muslimische Staaten, welche freie Wahlen zulassen und Wahlergebnisse honorieren - wie z.B. Malaysia - keinen Terrorismus kennen.

Bedrückt hat mich das Urteil, daß ehemals in Afghanistan gegen den Sowjetimperialismus kämpfende Freiwillige Leute seien, die ”zum Töten ausgebildet” sind. Die meisten von ihnen sind dafür schlechter ausgebildet als der durchschnittliche Soldat der Bundeswehr. Daß Menschen, die allzu lange in Uniform und Kampf verbrachten, Schwierigkeiten bei der Reintegration in den bürgerlichen Alltag haben, ist kein islamisches Phänomen und an deutschen Ex-Fremdenlegionären ebenfalls zu beobachten.

Die Feststellung, daß der Islam einen ”Gottesstaat” wolle, ist mißverständlich:
Die islamische Formel, daß der Islam sowohl Glaube wie Staat sei, bedeutet auch, daß Glaube und Staat nicht identisch sind. Die Formel, daß Gott als Souverän oberste Quelle aller Normen ist, bedeutet keineswegs die Ablehnung eines laizistischen Staatswesens. Der Islam verlangt nicht einen von Klerikern regierten Staat, aber einen Staat, der - wie die Bundesrepublik - der Religion ihren Platz einräumt, also nicht ”säkularistisch” ist.

Ich kann Ihnen versichern, Herr Präsident, daß die deutschen Muslime, soweit ich sehe, keine Schwierigkeiten haben, einem Staat die Treue zu halten, der - wie die Bundesrepublik - in seinem Grundgesetz auf Gott und übergrundgesetzliche Normen Bezug nimmt, Religionsunterricht garantiert, religiöse Feiertage schützt, einen Blasphemie-Paragraphen im StGB aufrechterhält, den Appell an Gott im Gericht und in den Streitkräften zuläßt, die Religionsausübung auch der kleinsten Religionsgemeinschaften (einschließlich des Schächtens) gewährleistet, Religionskörperschaften des öffentlichen Rechts kennt, ja sogar ”Kirchensteuer” erhebt.

Der Muslim hat keine Schwierigkeiten damit, das Parlament als höchstes Willensorgan des Volkes anzuerkennen, solange bewußt bleibt, daß nicht die gesamte Rechtsordnung zur Disposition des Volkes/Parlaments steht. Auch die BRD kennt ja verfassungswidrige Gesetze und sogar die Möglichkeit verfassungswidrigen Verfassungsrechts. Nicht anders im Islam. Auch hier steht die Pflicht zur gegenseitigen Konsultation von Regierendem und Regierten (schura, die Grundlage des islamischen Parlamentarismus) unter dem Obersatz, daß göttliche Normen nicht durch Parlamentsbeschluß beseitigt werden können.

Schwierigkeiten sehe allerdings auch ich voraus, wenn - wie es im Interview anklingt - die Verweigerung der Assimilierung der Muslime für potentiell friedensgefährdend betrachtet wird; denn daraus könnte eine Assimilierungspflicht konstruiert werden. Die zu fordernde Integrationsbereitschaft darf nicht zum Assimilierungszwang werden. Wohin sollten wohl sich nicht assimilierende deutschbürtige Muslime wie ich emigrieren?

Das islamische Recht hält Muslime in der Diaspora dazu an, die Rechtsordnung ihrer Gaststaaten grundsätzlich zu beachten, soweit ihre Religionsausübung im engsten Sinne nicht beeinträchtigt wird (Glaubensbekenntnis, Beten, Fasten, Pilgern, finanzielle Autonomie).

Übrigens ist die Forderung des islamischen Arbeitskreises in Hessen, Schulbücher von anti-islamischen Inhalten zu befreien, der Förderung der Integration besonders dienlich; denn muslimische Schulkinder werden dem Integrationsprozeß entfremdet, wenn sie auf ihr Empfinden beleidigende Darstellungen, z.B. ihres Propheten, stoßen.

Der Arbeitskreis empfiehlt insoweit lediglich die Umsetzung des sog. Schulbuchprojekts, das vom verstorbenen Prof. Falaturi (Köln) im Zusammenwirken mit nichtmuslimischen Wissenschaftlern (Prof. Tworuschka u.a.) und einem katholischen Weißen Vater über Jahre durchgeführt worden ist und zu konkreten Formulierungesvorschlägen geführt hat.

Es geht dabei um Eliminierung der zahlreichen, historisch oder theologisch inkorrekten und damit friedensgefährdenden Darstellungen des Islam in Geschichts-, Religions- und Geographielehrbüchern. Das gleiche Projekt ist in vielen anderen europäischen Staaten, darunter Italien, die Niederlande und Finnland, durchgeführt worden.

Mit der Bitte, den Islam nicht als eine monolithische Einheit, sondern in seiner reichen Vielfalt verstehen zu wollen, und in der Hoffnung, zur Klärung von Mißverständnissen beigetragen zu haben, bin ich, sehr geehrter Herr Präsident, Ihr sehr ergebener!



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