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Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V.


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Montag, 04.11.1996

DEMOKRATIE LEBEN MUSLIME IM KONTEXT DES EUROPÄISCHEN PLURALISMUS



Stellungnahme des ZMD-Vorsitzenden Dr. Nadeem Elyas vorgelegt bei der Initiative ”Demokratie leben” am

04. und 05.11. 1996 im Deutschen Bundestag und leicht verändert und ergänzt beim Seminar ”Islam und Muslime in Europa” am 29. und 29.11.1996 im Europäischen Parlament in Straßburg



I. Muslime in Europa



Geschichtlicher Rückblick

Jahrhunderte der Kriege und der Verfolgungen zeichneten unsere gemeinsame Geschichte, die Geschichte der islamischen und westlichen Kultur in Europa.

Auch Jahrhunderte des Friedens und des fruchtbaren Zusammenlebens zwischen Muslimen, Christen und Juden gehörten zur europäischen Geschichte.

Eine große Vielfalt bot der Islam in Europa; einzelne Muslime, die im Mittelalter als Händler oder Kundschaftler unterwegs waren, ansässige Einheimische, sporadische intakte islamische Gemeinden, islamische Völker, deren Zahl in die hunderttausende und Millionen reichte bis hin zur islamischen Staatsform, die die europäische Geschichte Jahrhunderte prägte.

Auch unsere heutige Gegenwart bringt diese großartige Vielfalt des Islam in Europa und diese enge Verbundenheit der Muslime mit den Andersgläubigen in diesem Kontinent deutlich zu Tage, wie uns das Beispiel Deutschland zeigt.

Das deutsche Wirtschaftswunder zog in den sechziger Jahren viele ausländische Arbeitskräfte an. Mit den sogenannten Gastarbeitern kamen auch viele Muslime ins Land, für die Deutschland zur neuen Heimat geworden ist.

In Deutschland leben heute mehr als 2,5 Millionen Muslime. Unterdessen gibt es schätzungsweise mehr als hunderttausend deutsche Muslime. Jährlich erwerben mehr als zwanzigtausend ausländische Muslime die deutsche Staatsbürgerschaft. Die meisten ausländischen Muslime möchten laut Umfrage auf Dauer in Deutschland bleiben.

Mit einem Anteil von ungefähr drei Prozent an der Gesamtbevölkerung bilden die Muslime hinter den Christen die zweitgrößte Religionsgemeinschaft in Deutschland.

Erneut ist der Islam in Europa und nun auch in Deutschland heimisch geworden. Aus den anfänglichen islamischen Bürgerinitiativen und Selbsthilfegruppen bildeten sich ortsansässige islamische Gemeinden, die mittlerweile aus in Europa geborener und herangewachsener zweiten und dritten Generation bestehen.

Aktuelle Situation

In Gesamteuropa leben schätzungsweise 33 Millionen Muslime. In manchen europäischen Ländern leben mehr Muslime als in manch einem ”islamischen Land” in der ”Islamischen Welt”.

So leben in Frankreich 5 Millionen,

in Deutschland 2,7 Millionen,

in Großbritanien 2,6 Millionen,

in den Niederlanden 540 tausend,

in Italien 500 tausend,

in Belgien 350 tausend,

in Spanien 300 tausend,

in Österreich 150 tausend,

in Schweden 130 tausend,

in der Schweiz 100 tausend,

in Norwegen 40 tausend und

in Dänemark 30 tausend Muslime.

In Südosteuropa und in den Balkanstaaten wird die Zahl der Muslime auf 8,5 Millionen und in Osteuropa und den ehemaligen europäischen sowjetischen Republiken auf 12 Millionen geschätzt.

Diese 33 Millionen Muslime in Europa stellen nicht nur einen Teil der europäischen Vielfalt dar, sie sind auch in sich selbst, in ihren Völkertraditionen, Sprachen, Geschichten, Rechtsschulen und Denkrichtungen ein Abbild der harmonischen Vielfalt der Islamischen Kultur.





II. Islamische Voraussetzungen

für das Leben der Muslime in Europa



Der Islam als Träger einer Kultur und richtungsweisender Verhaltenskodex für die Muslime, bringt die besten Voraussetzungen für ein zivilisiertes Zusammenleben mit allen Menschen mit:



Umgang mit Nichtmuslimen

1. Der Islam geht von der Einheit in der Menschheit aus: ”O Ihr Menschen, fürchtet euren Herrn, der euch aus einem einzigen Wesen erschuf, aus ihm seine Gattin erschuf und aus ihnen beiden viele Männer und Frauen entstehen und sich ausbreiten ließ” (4/1)

2. Die authentischen Quellen des Islam sprechen allen Menschen Ehre und Würde zu und verpflichten seine Anhänger, diese bei jedem zu respektieren und zu achten: ”Und Wir haben den Kindern Adams Ehre erwiesen; Wir haben sie auf dem Festland und auf dem Meer getragen und ihnen einiges von den köstlichen Dingen beschert, und Wir haben sie vor vielen von denen, die Wir erschaffen haben, eindeutig bevorzugt.” (17/70)

3. Der Glaube an die früheren Propheten und ihre Schriften ist ein unabdingbarer Bestandteil der islamischen Glaubenslehre.
Der Koran spricht von allen Propheten und vor allem von Moses und Jesus mit großem Respekt.

4. Die Muslime sind durch den koranischen Text zur Hochschätzung der Werke der Andersgläubigen verpflichtet.
”Diejenigen, die glauben, und diejenigen, die Juden sind, und die Christen und die Sabier, all die, die an Gott und den Jüngsten Tag glauben und Gutes tun, erhalten ihren Lohn bei ihrem Herrn, sie haben nichts zu befürchten und sie werden nicht traurig sein.” (2/ 62)

5. Der Koran garantiert die Freiheit der Religionswahl und der Religionsausübung: ”Es gibt keinen Zwang in der Religion. Der richtige Wandel unterscheidet sich nunmehr klar vom Irrweg.” (2/256)

6. Der Islam verpflichtet die Muslime, mit den Andersgläubigen den Dialog auf die beste Art und Weise zu führen: ”Und streitet mit den Leuten des Buches nur auf die beste Art, mit Ausnahme derer von ihnen, die Unrecht tun. Und sagt: Unser Gott und euer Gott ist einer. Und wir sind ihm ergeben.” (29/46)

7. Durch die Erlaubnis einer Tisch- und Ehegemeinschaft mit Andersgläubigen wird den Muslimen die gesellschaftliche Praktizierung dieser Theorien nahe gelegt: ”Heute sind euch die köstlichen Dinge erlaubt. Die Speise derer, denen das Buch zugekommen ist, ist euch erlaubt, und eure Speise ist ihnen erlaubt..” (5/5)



Muslime als Minderheit

Der Islam regelt als ganzheitliche Lehre alle Bereiche des Lebens, setzt den ethischen Rahmen für die zwischenmenschlichen Beziehungen und liefert die Grundsätze, nach denen sich politisches Handeln und ein Staatsaufbau orientieren sollte.

Die gesellschafts- und staatsrelevanten Leitbilder des Islam haben aber nur Gültigkeit für die Muslime und haben nur in einem islamischen Staat mit einer islamischen Bevölkerungsmehrheit verbindlichen Charakter.

Der Islam erlaubt seinen Anhängern als Minderheit in einem nichtislamischen Staat zu leben und verpflichtet sie, seine Gesellschafts- und Staatsordnung zu respektieren, solange diese die freie Releigionsausübung garantiert. Sollte der Einzelne nicht in der Lage sein, seinen individuellen gottesdienstlichen Verpflichtungen nachzugehen bzw. gezwungen sein, gegen diese zu verstoßen, darf er dennoch nicht, gegen diese Staatsordnung mit Gewalt vorgehen. Er soll seine Freiheit durch Überzeugung oder durch Auswanderung erlangen.





III. Muslime im Kontext des Europäischen Pluralismus



Auch den Muslimen ist mit der Zeit bewußt geworden, daß der Islam eine dauerhafte Religion in Europa geworden ist. Diese rasche Entwicklung bringt für alle Beteiligten Probleme mit sich. Der rasche Wandel der Anforderungen stellte sowohl für die inneren Strukturen der Gemeinden als auch für die Gesellschaft, die Politiker und die Verwaltung unüberschaubare Herausforderungen dar.

Aus den Bedürfnissen von "Hinterhofmoschee-Gemeinden", die zunächst nur lokaler Natur waren, wuchsen gemeinschaftliche islamische Belange, die die Grenzen der Kommunen und der Bundesländer, ja der Europäischen Länder überschritten. Fragen, wie beispielsweise die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen, die Einrichtung eines geregelten, veterinärmedizinisch überwachten Schlachtbetriebes nach islamischem Ritus oder die Probleme der Muslime der zweiten und dritten Generation können nur noch gemeinsam von den Muslimen angepackt werden.



Muslime und die Europäischen Verfassungen

Die europäischen Verfassungen garantieren die Grundrechte, die aus islamischer Sicht für das Leben einer islamischen Religionsgemeinschaft als Minderheit nötig sind.

Nur ein verschwindend kleiner Teil der Muslime in Europa (z.B. in Deutschland 1%) wird von den Verfassungsschutzorganen als extremistisch eingeschätzt. Die Mehrheit der in Europa lebenden Muslime bekennen sich zu der geltenden Staats- und Gesellschaftsordnung und versuchen im Rahmen der Verfassungen ihre islamische Identität zu bewahren und sich als muslimischer Teil dieser Gesellschaft zu entfalten.

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland konstituiert sich laut der Präambel seiner Satzung,

”... geleitet von der gemeinsamen Überzeugung, dem Islam, insbesondere seiner Moral und Ethik unterworfen zu sein,

einig darin, als Islamische Religionsgemeinschaften in Deutschland das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und ihr Recht zu respektieren,

und einvernehmlich in der Grundlegung, bei der Auswahl der Mittel und Wege zur Erfüllung der gemeinsamen Aufgaben des Zentralrats der Muslime in Deutschland als einzige Quelle die islamische Lehre im Rahmen des Grundgesetzes und im Einklang mit den Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland anzuwenden.”



Die pluralistische Praxis

Zunehmend erbringt die Mehrheit der Muslime in Europa den Beweis, daß sie die vorhandenen Formen des pluralistischen Lebens nicht nur respektieren, sondern versuchen, durch Inanspruchnahme dieser Formen das beste für sich und die gesamte Gesellschaft zu erreichen.

So machen die an der Zahl wenigen Wahlberechtigten von ihrem aktiven und passiven Wahlrecht reichlich Gebrauch. Mittlerweile sitzen Muslime in vielen parlamentarischen Gremien verschiedener europäischen Länder.

Rege Beteiligung der Muslime bei den Wahlen der Ausländerbeiräte trotz der Kenntnis, daß diese nur eine beratende Funktion haben, ist ein weiteres Zeichen für die Akzeptanz des ganzen Systems.

Abertausende Ehrenämter und unzählige selbsttragende Projekte und Initiativen, die den Moscheen angeschlossen sind, leisten unbemerkt und ohne staatliche Unterstützung und Anerkennung großartige soziale Leistungen innerhalb der eigenen Religionsgemeinschaft und nicht selten auch bei weiteren Bereichen der Gesellschaft.

Ein weiterer Ausdruck der Akzeptanz der pluralistischen Lebensform ist die Beteiligung der Muslime am interreligiösen Dialog und ihre Mitwirkung bei vielen multireligiösen und -kulturellen Projekten.





IV. Hoffnungen und Erwartungen



Als Teil dieser europäischen Gesellschaft können wir Muslime unsere Zukunftserwartungen nicht nur für uns allein oder unabhängig von den anderen Teilen dieser Gesellschaft formulieren. Wir sind bei der Entwicklung unserer gemeinsamen Zukunftsperspektiven auf die Zusammenarbeit und Hilfe unserer Partner und Freunde in jedem europäischen Land angewiesen. Schließlich wollen wir ja unsere gemeinsame Zukunft innerhalb der Europäischen Vielfalt gestalten und nicht die Zukunft einer im Ghetto lebenden muslimischen Glaubensgemeinschaft.

Wenn wir also Beispiele von Problemen nennen, unter denen die Muslime leiden, dann tun wir dieses nur mit dem Ziel, gemeinsame Lösungen dafür zu suchen.



Problembereiche der muslimischen Bevölkerung

Besondere Problembereiche der muslimischen Bevölkerung erläuterte der ZMD mit dem Bundespräsidenten anhand unseres Papiers ”Welche Perspektiven haben die Muslime in Deutschland? Ihre Sorgen und Hoffnungen” Diese werden wie folgt zusammengefaßt:

1. Individuelle Diskriminierungen im Alltag der Muslime:

z.B. auf dem Berufs- und Wohnungsmarkt, im Ausbildungs- und Schulalltag und bei Behördengängen und bei öffentlichen Anstalten

2. Praktische Aberkennung ihrer Rechte als Religionsgemeinschaft:

durch Erschwernis bzw. Verhinderung der Errichtung von Moscheen und Gemeindezentren, Nichtbeachtung der Anträge auf Einführung eines deutschsprachigen islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen, Untersagung des islamisch vorgeschriebenen Schächtens

3. Ausgrenzung aus dem politischen Leben:

durch fehlendes Wahlrecht sowohl auf kommunaler als auch auf Bundesebene, fehlendes Recht auf doppelte Staatsbürgerschaft

4. Benachteiligung und Diskriminierung durch die Medien:

durch erschwerten Zugang der Muslime zu den Medien, Feindbild-Konstruktion, Verzerrung des Islamgesichtes durch Sensatiosmeldungen und

Schwarzmalerei sogenannter ”Islamexperten”

Dazu kommen die internen Sorgen der muslimischen Gemeinschaft:

durch zunehmende Kriminalisierung der muslimischen Jugendlichen, Perspektivlosigkeit und fehlende Orientierung muslimischer Jugendlicher, Drogen- und Sexualprobleme der Jugend, Vermindertes Selbstbewußtsein muslimischer Mädchen, Zerrüttung muslimischer Familienstrukturen

Die islamischen Institutionen sind überfordert:

durch Zunahme der Zahl der muslimischen Bevölkerung, durch besseres Selbstverständnis und gehobene Qualitätsansprüche der eigenen Basis, durch neue soziale Bedürfnisse der muslimischen Bevölkerung



Mittel und Wege

Wir können hier und heute nur einige Grundgedanken zur Lösung dieser Problematik erläutern, die wir als Diskussionsgrundlage für uns und unsere Partner in der Gesellschaft verstehen:

1. Die Muslime sind Teil der europäischen Gesellschaft. Ein Zusammenwirken mit den anderen Gruppen und Institutionen der Gesellschaft ist aber nur auf der Basis der gegenseitigen Achtung, des Vertrauens und des beiderseitigen Willens zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit möglich.

2. Europa kann es sich nicht leisten, die Probleme von Millionen seiner Bevölkerung zu ignorieren bzw. die Beteiligten vom Prozeß der Suche nach Lösungen für diese Probleme auszugrenzen . Hier steht der Ruf Europas als Hort der Menschenrechte und als Beispiel für das Zusammenleben multikultureller Völker auf dem Spiel. Die muslimische Glaubensgemeinschaft wird so zu einem Prüfstein für die europäische Einheit.

3. Das Angebot der Muslime in Europa, als Bindeglied zwischen Europa und der Islamischen Welt zu wirken, sollte verstärkt in Anspruch genommen werden.

4. Die Mitwirkung der Muslime in den demokratischen Gremien Europas wird deswegen notwendiger denn je. Leider wird dieser Prozeß auf der Ebene der Mitgliedsländer erschwert, weil

*

die Mehrheit der Muslime nicht mal auf kommunaler Ebene wahlberechtigt ist,
*

sie noch kein politischrelevantes Potential darstellen,
*

sie keine Lobby in der politischen Szene haben und
*

ihre Spitzenverbände nicht als gleichberechtigte politische Partner behandelt werden.

5. Auch wenn in der letzten Zeit zunehmend die Spitzenverbände der Muslime in Europa als Ansprechpartner in Anspruch genommen werden, so müssen besonders von uns aus noch aus den Gesprächen auch Arbeitsprogramme entstehen.





***************



Die Einladung des Bundespräsidenten zum Gespräch in seinem Berliner Amtssitz hat Zeichen gesetzt und wird von uns im Zentralrat der Muslime in Deutschland mit der Erwartung verknüpft, als Anfang einer Reihe von praktischen Schritten zu gelten.

Auch einige Anhörungen verschiedener Bundestagsausschüsse, zu denen der Zentralrat in letzter Zeit eingeladen wurde, erfüllen uns mit Zuversicht, daß die große Minderheit der Muslime ihren Platz zur konstruktiven Zusammenarbeit in der Gesellschaft, langsam aber sicher, einnehmen wird.

Die Konstitution des Islamischen Kooperatiosrats in Europa und unser heutiges Treffen im Europäischen Parlament bringen weitere Zeichen der Hoffnung mit sich.

Auch wenn viele Probleme noch vor uns stehen und alte Vorurteile unsere Begegnung erschweren, werden wir von islamischer Seite beharrlich und unbeirrt dem gemeinsamen Weg des Dialogs und des konstruktiven Miteinanders folgen.





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